245 Über Diktatur und Internet
Mein ganzes Leben lang habe ich immer nur den unblutigen Zusammenbruch von Diktaturen miterleben dürfen. Ich denke an Griechenland, Portugal, Spanien, die Sowjetunion, an die DDR. Ich erinnere mich an Länder, die es nicht so tierisch ernst nahmen mit der Unterdrückung – etwa Polen, Jugoslawien; allen voran Ungarn, dessem unbezwingbaren Willen auch Ostdeutschland so viel zu verdanken hat. In Ungarn bin ich seit 1975 immer wieder gewesen, während ich der DDR und ihren Staatsbürgern 1989 zum ersten Mal erst richtig begegnet bin. Trotz und gerade auch wegen meiner häufig negativen Erfahrungen bei Besuchen in Berlin, vor allem in Berlin-Ost.
Die politischen “Befreiungsbewegungen” der NachkriegsZeit bekämpften sowohl die Rechts- wie Links-Diktaturen. Rechts-Diktaturen wie in Spanien, Portugal und Griechenland implodierten ohne großes Aufsehen und Blutvergießen, quasi wie ein Naturereignis. So kann es also auch gehen, dachte ich damals, geduldig bleiben, ausharren, warten bis diese Zeit zu Ende ist – dann kommt die neue Morgenröte und ganz ohne Blut.
Skeptisch blieb ich hingegen gegenüber „Befreiungsbewegungen“, wie sie sich international und mit großer politischer Unterstützung etwa durch Maos China oder die UdSSR entwickeln konnten. Kann man sich solche blindwütig um sich schießenden Fantasten und Fanatiker als kluge und bedachtsam abwägende Staatslenker vorstellen, fragte ich mich? – Nein. Am allerwenigsten solche, die im Namen einer selbst ernannten “Avantgarde” gezielt Menschen “hinrichteten”, als ginge es um einen Tyrannen-Mord, der von wem legitimiert war? Nur vom eigenen Denken. Selbst wenn Jean Paul Sartre in seiner maoistischen Phase Sympathie zeigte für solche Menschen und Endzeit-Fanatiker, die auch Dostojewski bereits in ihrer ganzen Ambivalenz schon so treffend beschrieben hat.
Der Widerstand gegen die Links-Diktaturen im Osten Europas war subtiler. Eine offene Auseinandersetzung im Sinne eines Krieges schloss sich infolge der Angst vor einem totalen atomaren Untergang aus. Also waren es die Mittel der Propaganda, sprich der Verführung durch lockende Werbe- und Filmbotschaften sowie durch Vertrauen bildende Maßnahmen – miteinander sprechen, Ängste abbauen, Überzeugungsarbeit leisten.
In Erinnerung geblieben sind mir vor allem Willy Brandts Ostpolitik sowie der Einfluss der grünen Abgeordneten Petra Kelley bei ihren Besuchen in Moskau und mit ihrem direkten Einfluss auf den russischen Präsidenten Michail Gorbatschow. Beide haben einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für den unblutigen und friedlichen Zusammenbruch dieser Diktaturen geleistet.
Die Demokratie wurde in den kreisförmig angelegten antiken StaatsTheorien, etwa von Platon oder Aristoteles, immer notwendig von einer Diktatur abgelöst. Demokratie bedeutete aber in der Antike nicht Herrschaft des Volkes, geschweige denn eine Mitbestimmung der Frauen und Sklaven, die den Großteil der Bevölkerung ausmachten. Demokratie war die Herrschaft einer kleinen Gruppe von Männern mit Bürgerrecht. Und das waren wenige. Nur sie waren wahlberechtigt und konnten gewählt werden. Während vor der Demokratie eine kleine Elite von Aristokraten oder Geldmenschen(Oligarchen) den Staat dominierten und führten, kamen nun die Menschen auch der “Mittelschicht” zum Zug und zur Mitbestimmung. Entsprechend groß war das Parlament, Senat genannt, dem in Rom jeweils zwei Konsuln als Staatslenker vor standen.
Aber auch die demokratische Staatsform führte schließlich immer wieder zu Unruhe, Krieg und Gewalt, zu ausufernder Zügellosigkeit im Inneren und Chaos. Sie förderte schließlich eine Sehnsucht nach „geordneten Verhältnissen“, nach einem starken Mann, und all dies hatte dann die Diktatur wieder zur Folge. Mit dem Endergebnis (nach Aristoteles), dass dieser neue Staatschef sich schließlich zu einem Gewaltherrscher, gar einem Tyrannen radikalisierte. Seine Staatsform überdauerte aber ebenso wenig die Zeiten – er wurde abgelöst (Tyrannen-Mord) wieder von der Herrschaft der wenigen im Sinne jetzt einer klugen und überlegenen „Herrschaft der Besten“(Platon wünschte sich sogar einen Philosophen dafür), also der Aristokratie, die immer für Tradition und Konservatismus stand.
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Doch mittlerweile, was geschieht jetzt bei uns und hierzulande? – Neue Diktaturen werden scheinbar wieder gebraucht und aufgebaut, als wenn die alten und jüngsten nicht abschreckendes Beispiel genug gewesen wären mit diesen politischen Potentaten des Unheils.
Im Osten Europas brechen Narben wieder auf. Sozialneid und eine tiefe weltanschauliche Desorientierung machen sich breit, die den unbedingten Willen nach Macht nur noch unterstützen. Warum? – Weil alles nicht schnell genug ging, die versprochene Umwandlung in die bunt schillernde Werbewelt von Kapitalismus und Wohlleben nur mit heftigen KollateralSchäden und Opfern gelingt.
Der islamistische Kreuzzug, ebenfalls eine indirekte Folge des Zusammenbruchs der östlichen Glaubensgemeinschaft und Ideologie, krallt sich an alten Mustern fest, die sich der Globalisierung und allgemeinen Transformation unserer Welt zu widersetzen suchen, gerade auch mit Hilfe des Internets. Digitalisierung, Internet-Populismus und Roboterisierung haben sich gleichwohl jeglicher Kontrolle entzogen und führen ein Eigenleben jenseits von rationaler Steuerung oder Hinterfragung nach langfristigen Zielen, Sinn und Teilung von Macht.
Auch das alte philosophische Problem von Wahrheit und Wahrheitsfindung („Faktizität“) stellt sich wieder umso dringlicher: Wie kann die Ablösung der Experten (“Expertogratie”), des allgemein anerkannten Wissens, des rationalen Diskurses innerhalb einer Kommunikations-Gemeinschaft als Folge der so genannten “sozialen Medien” und Mitbestimmung aller im Internet abgefedert, kompensiert werden?
Wie mit den absehbaren Verwerfungen, was das traditionelle Lesen, Schreiben, Verstehen und Zuhören betrifft, umgehen? Wie wird sich Wahrheit zum Beispiel bei der Staatslenkung zukünftig im ungezügelten politischen Infotainment des Internets durchsetzen können? Was ist Meinungsbildung im Pluriversum der unzähligen „richtigen Meinungen“ im Netz, all dieser vielen like- und share-Knöpfe, wenn alles geht und es auch keine Schamgrenze oder Moral mehr gibt?
Wie kann der zukünftig notwendige Zusammenprall von der virtuellen (Spaß-)Welt der Bildschirme mit ihren tausend Wahrheiten – alles wird “Show”, “Fake”, sogar die Politik – und der Realität abgeschwächt, abgefedert werden? Welche Kollateralschäden sind zu befürchten oder bereits auch politisch schon eingetreten? Denn im Bereich der Kultur sind bereits heftige Umbrüche zu beobachten.
Auch die zahlreichen Gegenbewegungen gegen die Moderne, die Entwicklungen der Aufklärung in Frage stellen und sogar die Menschenrechte als “eurozentrisch“ zu opfern bereit sind, radikalisieren sich mit ihren selbstmörderischen theokratischen Strategien bis hin zur Gedankenlosigkeit in Richtung Führer-Diktatur, ja bis zur Besinnungslosigkeit. Gegenstimmen, die notwendig sich in einem solchen schmerzlichen Prozess der Transformation und Änderung immer entwickeln müssen, werden als erste ausgeschaltet, wenn nicht sogar eliminiert (vgl. auch meinen Aufsatz über Eurozentrismus im Blog Nr.45).
Der Osten Europas, aber vor allem auch die Islam-Staaten, erinnern sich wieder, bewusst oder eher unbewusst, an Verhaltensmuster aus den Zeiten der Diktatur, wie mit Konflikten und Problemen radikal und brachial umgegangen worden ist und umgegangen werden kann. Die Flüchtlingskrise verschärft noch die Sehnsucht solcher Menschen nach der verlorenen (seelischen) Heimat, nach Stärke und Identität im eigenen Land, in Beruf und Familie, im Staat. Unterbewusst bildet sich wieder der Wunsch nach selbstbewusster Führung, nach einfachen Antworten in blasenhaften (Internet-)Gemeinschaften, nach dem starken Mann und nach Ruhe im Land vor zu viel Ungewissheit, Komplexität, Fremdheit und Neuem. Ich trage nur zusammen, was die Frankfurter Schule, etwa Horkheimer, schon vor der Nazi-Zeit bereits warnend über den „autoritären Charakter“ und seine Folgen beschrieben hat und was dann tatsächlich auch eingetreten ist.
Zu dieser Verunsicherung gehört gerade auch, ich wiederhole mich, die heftig herein brechende Welt der Digitalisierung mit Computern, Internet, Taschencomputern (Smartphones) und Robotern, die den Zusammenbruch des alten Industriezeitalters teilweise auffangen, meist aber eher nur beschleunigen werden.
Das Neue und Fremde in unserer Zeit verunsichert sehr und macht Angst, gerade weil es mit einem Alles-Geht-Liberalismus daher kommt. Es destabilisiert unser Weltbild, was Wahrheit ist und wie sie – und mit welcher Sprache vor allem – im allgemeinen Diskurs gefunden werden kann; es destabilisiert unser ganzes Wertesystem einschließlich unserer Vorstellung von Liebe und Leben und wie ein Staat gelenkt werden soll.
Diese Unsicherheit und Labilität als ein sich immer wieder zeigendes vorübergehendes Phänomen auszuhalten und nicht auf ausgetretenen Pfaden eine zukünftige Richtung zu suchen, das ist m.E. das Gebot der Stunde.