246 Über Verführung
Hallo Andrew Walsh,
Ich habe ein noch zu übersetzendes Vorwort geschrieben für den englischsprachigen Buchdruck meiner Blogtexte. Hier ist es. Bitte schreibe auch noch ein Nachwort zu deinen Übersetzungen und den Problemen, die du mit meiner Sprache gehabt hast ( oder auch nicht).
Mit der zweisprachigen Ausgabe und dem Abdruck deiner Fragen und meiner Antworten darauf über Begriffe und Verstehensprobleme in den Texten warten wir noch ein wenig ab. Ich komme auch zeitlich nicht dazu, diesen intensiven Briefwechsel durchzusehen.
Der Titel “On Seduction” gefällt mir sehr. Ebenso werde ich auch bei dem doppelt gebrochenen ironischen Motto von Baudrillard (“Lasst euch nicht verführen”) bzw.Wittgensteins Äußerungen zum Kreuz-und-quer-Denken bleiben.
Vielleicht ist dein Korrektur-Leser ebenfalls bald fertig und wir können mit der Veröffentlichung bzw.Vermarktung starten.
R.U.
Ü b e r V e r f ü h r u n g
Vorwort
Immer wieder habe ich mich erforscht, mein ganzes Leben lang. Mit den Augen des Mannes, mit den Augen der Frau und des Feminismus. Rat und Wissen gesucht bei den Philosophen der Vergangenheit, der Gegenwart. Was ich festgestellt habe: Ich bin ein Römer. Auch der Vergangenheit. Ja, tatsächlich. Aber mehr noch – ein Römer der Gegenwart, vielleicht sogar der Zukunft.
Ich schreibe diese Zeilen, in denen es um “Verführung” gehen soll, was auch immer das bedeuten mag, am Ende der Epoche der Liebe. Für ein Zeitalter, in dem die Liebe im romantischen Sinne ausgestorben sein wird und selbst in der Ehe, sofern es diese Institution überhaupt noch geben kann, Begriffe wie Vernunft, Planung, Berechnung und Züchtung dominieren werden. Ich sage nicht Konditionierung, sondern Züchtung, Züchtung selbst im Sinne einer Technik, eines pränatalen Cloning.
Nur nicht die Lust ist ausgestorben, denn sie, die Lust um der Lust willen, sucht “Ewigkeit, tiefe, tiefe Ewigkeit”, sagt Nietzsche.
Ich schreibe diese fragenden Worte und Sätze auch mit Wehmut und Nostalgie, denn ich bin immer noch Mitglied einer aussterbenden Gattung, eines vielleicht schon lange ausgestorbenen Zeitalters. Selbst wenn ich als denkender Mensch, denn das gibt es tatsächlich immer noch, ein Realist zu sein habe oder bin.
Doch die Zeit der vergangenen Vorbilder, mag sie auch noch so verlockend und schön gewesen sein, sie neigt sich endgültig dem Ende entgegen.
Ostende/Belgien, 16.November 2016
