252 Patroklie
Fassung Tanztheater
Der nach folgende Auftritt von Patroklos steht in der Mitte als 4.Bild meines neunteiligen neuen Tanztheaters. Patroklos erzählt darin live als Schauspieler (oder auch nur eingeblendet als Stimme) zusammen mit einer Klavier-Hintergrundsmusik und evt. solistischem Tanz seine Lebens- und Sterbegeschichte.
Ja, ich bin Patroklos, der Freund und Kampfgefährte von Achill. Schon als Junge bin ich mit ihm zusammen aufgewachsen. Unglücklicherweise ist ein NachbarsKind in meiner Heimat durch mich zu Tode gekommen und ich musste außer Landes fliehen. Mein Vater brachte mich zu Peleus, dem Vater von Achill, und dieser nahm mich freundlich an Kindesstatt auf in seinem Palast. Die Mutter im Haus war Thetis, eine der Meeresgöttinnen, die alle dem großen Alten, Poseidon, unterstellt waren. Sie wusste, dass das Lebensband, welches die Schicksalsgöttinnen für Achill und mich gespannt hatten, nur sehr kurz war.
Thetis wusste es, und auch Achill. Sie hat ihren Sohn vor dem Verderben zu schützen gesucht mit allen Mitteln. Sogar den GötterVater Zeus hat sie angefleht, ihr zu helfen und den Sohn vor dem Untergang zu bewahren. Aber der Krieg um Troja musste unerbittlich weiter gehen und alles musste sich so abspielen, wie das Schicksal es vorgesehen hatte. Selbst Zeus hatte sich daran zu halten und sich zu fügen.
Achill war gleichaltrig wie ich und noch jung, als ich ihn kennen lernte. Seine Mutter hatte ihn in Mädchenkleider gesteckt, damit man ihn nicht zum Kriegsdienst nach Troja einsetzen konnte. Aber vergeblich. Der schlaue Odysseus hat die Maskerade durchschaut und aus war der Traum von einem friedlichen Leben, das es in dieser Zeit nie lange, auch danach eigentlich niemals gegeben hatte. Kriege an den Grenzen gab es eigentlich immer. Selbst noch vor kurzem, ich nenne nur den Krimkrieg und die Russen.
Auch ich musste mit ins Boot nach Troja steigen. Natürlich wollte ich meinen Freund nicht alleine lassen. Er war der schönste, stärkste, der tapferste Held weit und breit. Stolz, durchsetzungsstark, hartnäckig. Er spielte Gitarre und sang sehr schön dazu. Das berichtet sogar der Geschichtenschreiber Homer, der unser ganzes Leben aufgeschrieben hat.
Es ist richtig, dass Achill mein Liebhaber, ich sein Geliebter war. Wie es die Zeit so wollte. In einer Männergesellschaft war die MännerLiebe fast eine alltägliche Pflicht. In Sparta, Kreta und Theben war sie gerne gesehen, fast vorgeschrieben, weil eine solche Freundschaft die Tapferkeit in der Schlacht nur noch stärker machen konnte. Davon war man überzeugt. Nicht zuletzt war meine Freundschaft mit Achill ein gutes Beispiel dafür.
Wir haben uns jedenfalls geliebt bis in den Tod. Thetis hat bittere Tränen vergossen, als wir mit dem Schiff nach Troja weg segelten und nie mehr wieder zurück kamen. Sie wusste, dass ihr Sohn nicht mehr in die Heimat zurückkehren werde und dass ich sogar noch vor Achill sterben würde. Unsere Asche hat man in eine gemeinsame Urne gelegt und dann begraben, so dass wir auch im Tode vereint bleiben könnten.
Der Streit von Achill mit dem Oberbefehlshaber der Armee, Agamemnon, war vollkommen überflüssig. Achill hatte im Zelt immer seine Briseis als Kriegsbeute und Geliebte dabei. Deren Vater und ihre drei Brüder hat er in einer kriegerischen Schlacht getötet. Dennoch hat sie ihren neuen Mann geliebt, war ihm treu. Auch mich hat sie gemocht, hatte nichts gegen unsere Beziehung zu dritt.
Agamemnon hatte ein Auge auf sie geworfen und nahm sie Achill einfach weg. Er war der Chef. Aus Rache weigerte sich daraufhin Achill lange, für die Griechen bei der Belagerung Trojas weiter zu kämpfen. Schlecht stand es ohne ihn um unsere Sache.
Achill erlaubte mir schließlich, seinen Schutz-Panzer, den sein Vater persönlich von Zeus erhalten hatte, zu tragen und damit in die Schlacht gegen Hektor zu ziehen. Siegreich für die Griechen, aber tödlich für mich.- Und wie Achill um seinen geliebten Patroklos getrauert hat! Mir kommen jetzt noch die Tränen, wie er mit der Hand meinen toten Körper gedrückt hält, mir Küsse auf die kalten Lippen gibt, mich umarmt und weint und klagt und weint. Er konnte mich einfach nicht gehen lassen.
Und welche Wut hat ihn dann gepackt! Er entschließt sich, wieder in den Kampf gegen die Trojaner zu ziehen. Versöhnt sich sogar mit dem Oberbefehlshaber. Voller Wut beginnt er ein Gemetzel unter den Trojanern und führt die Griechen zu einem großen Triumph. Verliert letztendlich in diesem Krieg aber doch auch sein Leben. Die Götter stehen diesmal nicht auf seiner Seite. Apollon lenkt den tödlichen Speer durch die Hand von Paris genau an seine schwache Stelle, wo er verwundbar ist, in die Ferse, und kann so seine schützende Styx-Haut durchdringen.
Die Griechen haben diesen Krieg um Troja zwar gewonnen, aber wir beide, wir konnten nicht mehr zurück “in die liebe Heimat”, wie Homer immer so schön formuliert hat.
Es stimmt, was ein Dichter in viel späterer Zeit einmal geschrieben hat: Wir waren beide jung und unterwegs, uns zu suchen und zu finden. Im doppelten Sinn des Wortes: Uns selbst haben wir gefunden. Wofür wir lieben, kämpfen und sterben sollen, auch.
Heute sagt man, jetzt, wo die Lehre der Christen so siegreich geworden ist, wir lebten für ein Du. Damit meint man das Soziale, den Mitmenschen. Es schließt Helfen und Schützen ein und es ist eine ganz pazifistische Lebenseinstellung. Ganz anders als zu meiner Zeit, ganz, ganz anders! Irgendwie kann das nicht gut gehen, meine ich.
Reden wir noch von meiner Begräbnisfeier. Drei Tage lang schleifte Achill den toten Körper von Hektor, den er aus Rache wegen mir umgebracht hatte, vor den Augen seiner Eltern mit dem Pferdegespann um die Mauern von Troja herum. Zehn junge Kriegsgefangene, alle aus den besten Familien Trojas, lässt er schlachten, so hat man das damals genannt, und mir zuliebe opfern. Was für eine Rache, was für eine Wut! – Alle waren außer sich vor Schmerz, Freund wie Feind. Vorweggenommen hat die Meeresmutter bereits mit ihrer Klage, die ihr eben schon gehört habt, auch den Tod ihres Sohnes Achill. Er ist mir in nicht allzu langer Zeit in diesem schrecklichen und so überflüssigen Kampf nachgefolgt.
Jetzt gibt es uns als vorbildliches Freundespaar und ehernes Denkmal in den Museen dieser Welt zu bewundern. Auf einer Vase im Staatlichen Museum zu Berlin sieht man Achill, wie er meine Wunde am Arm verbindet, seine Augen aber, na ja, nicht von meinem Gemächt lassen kann. Auch wie Menelaos meine Leiche aus der Schlacht rettet, damit ich würdig begraben werden kann und nicht dem Fraß der Hunde ausgeliefert bin. Auch das marmorne Standbild in der Loggia dei Lanzi in Florenz gefällt mir.
Sich dem Unheil von Welt und Zukunft zu stellen, ihm zu trotzen, es zu bekämpfen, nicht zu fliehen – schöne Worte hat der Dichter dieses Theaterstücks heute Abend dafür gefunden. Aber irgendwann einmal ist alles vorbei.
Wohl dem, der dann seine Asche mit jemand anderem mischen und eine gemeinsame Urne teilen kann.
Wenn man das Tanztheater eher politisch mit Flüchtlingen und Migranten in Szene setzen will, dann sollte man den Titel “Abfahrende Schiffe” wählen. Wer die allwissende und mächtig-ohnmächtige Meeresgöttin Thetis in den Fokus stellt, nennt das Stück “Thetis” oder auch “Thetis-Projekt”. Wer die antike Liebesgeschichte zwischen Achill, Briseis und Patroklos darstellen will, spricht von “Patroklie” – es ist die Lebens-und Sterbegeschichte des Patroklos, des Liebes-und Kampfgefährten von Achill.
Vorlage: Homer, Ilias (16.-19. und 22.-23. Gesang) Kommentierte und neu übersetzte Ausgabe von Marion Giebel (Reclam 18299)
Hinweis: Es gibt auch noch eine ungekürzte und literarisch weiter ausgeführte Fassung dieses Textes, ebenfalls als Monolog.
Entstanden in Ostende/Belgien, 18.11.2016