251 Über Popmusik (11): George Michael
I want your Sex
Verführung war zu manchen Zeiten eher eine Angelegenheit und Lebensaufgabe der Frau; Schönheit und Lust war die Belohnung der Natur , dass das Leben sich fortpflanzen und die Art erhalten konnte. Für Intellektuelle und Geistesarbeiter mag dies ein niederschmetternder Gedanke sein, dass die Schönheit einer Rose im Garten nur dazu da sein soll, Bienen zur Bestäubung anzulocken. Dass Charme und Reiz dieser Frau neben dir … Ja dass sogar das Phänomen der Verliebung, was doch schon so viele außergewöhnliche Kunstwerke welcher Art auch immer in die Welt gesetzt hat, zum Beispiel besonders schöne Gedichte von Puschkin, nur eine kurzfristige, wenn nicht sogar pathologische Verirrung von Gemüt und Natur darstellt, die sich, ist das Ziel erreicht, auch schnell wieder legt und schließlich, so wollen es doch Geist und Vernunft, nicht wahr, in ruhigere Fahrwasser einmündet.
George Michael, ein Vertreter der heftigeren und unersättlichen männlichen Triebhaftigkeit – ich sage das ganz ohne Wertung – ist mitten im Leben von 53 Jahren jetzt gestorben. Er kommt als einer der wenigen Männer seiner Spezies und Veranlagung auch in der Musik gleich zur Sache: I want your Sex heißt der erfolgreiche Song von 1987, den er gleichwohl schon kurz nach seinem Erscheinen live nicht mehr hat aufführen wollen. Sein brasilianischer junger Geliebter war gerade an Aids gestorben, und auch manches Andere hat den Künstler in eine schwere Krise gestürzt. Doch dieses I want your Sex hat der Sänger noch lautstark und irgendwie für mich als Mann auch faszinierend direkt im Video und für alle Hitparaden unserer westlichen Welt produziert, propagiert. Wie in der Tierwelt nähert er sich seinen Objekten, sie zu bespringen und sich zu erleichtern, um es einmal etwas ungebührlich auszudrücken. Ich beziehe mich dabei auf Platons Phaidros: “Wie die Tiere suchen sie sich zu umfassen”, meint der Philosoph nicht unbedingt wertneutral über ein solches nur Lust und Sex suchende Verhalten.
Im Video sieht man einen jungen Mann, attraktiv, lebendig und beschwingt tanzend, mit einer eindeutigen Absicht; dabei wie im alten Rom Mann und Frau im Text gleichermaßen ansprechend, anhüpfend. Wir wissen sofort (und er macht damit dem männlichen Geschlecht im Zeitalter des gerade wortstark werdenden Feminismus der 80er Jahre keine Ehre): er will nur das Eine… Belehrungen zu diesem schlüpfrigen Thema nicht auslassend und verbunden noch mit dem zynischen Hinweis, es doch einmal mit der Monogamie auszuprobieren, beendet der Künstler sein durchaus der Zeit entsprechendes Video.
Wir sind am Ende der 80er Jahre. Die kommunistische Ideologie, die sich weder mit Ehebruch und Polygamie noch mit Pansexualität hat anfreunden können, ist samt ihrer Weltanschauung, was gut und schlecht zu sein hat, zusammen gebrochen. Der Westen mit seiner Glitzer- und Luxuswelt hat jedoch nur einen Pyrrhus-Sieg errungen, wie sich später dann herausstellen sollte.
Im antiken Rom der frühen Kaiserzeit war genau diese auch heute wieder ebenso große ethische Spannung zwischen individuell-egoistischer Lust-Befriedigung und sozialer Pflicht oder auch Verantwortung neben politischen Kriegs- und Staatsführungsfragen das Hauptthema. Wie leben in einer Gesellschaft, die sich weitgehend auf Sklavenarbeit stützt, so lautete das Thema in den philosophischen Schulen Athens und Roms. Wie mit der Lust, insbesondere der überall verfügbaren sexuellen Lust im Zeichen von (neuzeitlich gesprochen) Imperialismus, Überfluss(Luxus) und ökonomistischem Wohlleben klar kommen? Platon hatte für die intellektuelle Männerwelt seine Maximen schon 350 Jahre vorher aufgestellt, die fragwürdige Trennung von Geist und Körper, Mensch und Tier, Lust und Askese zementiert. Und er ist in der Männerwelt der römischen Antike in Fragen von Ethik und Moral immer noch eine maßgebliche Instanz geblieben. Selbst wenn es auch eine Philosophenschule der “Lust=Freude” gab – Epikur. Doch diesem ging es weit mehr um “geistige Lust” im Sinne eines freundschaftlichen Gesprächs und nicht um Paarung mit wem und warum auch immer. Dass es in Rom auch reine Sex-Fanatiker gab, die in Aristipp, einem Vordenker aus der Zeit Platons, ihr Vorbild sahen, wird meist verschämt verschwiegen. Nein, der Geist war im antiken Rom immer noch mächtiger als das Tier. Selbst Caesar, ein Tier wie alle Militärs, wollte ein Intellektueller sein.
Doch wer kümmert sich heutzutage beim Sexualverhalten um ethische Fragen? Wenn die Brunftzeit zeitlos wird sogar bei den Frauen und die Jugend nicht ausgelastet ist, sondern in allen Werbebotschaften immer wieder nur “Ich will Spaß, ich will Spaß“ propagiert wird? Und wenn diese Jugend auch noch als neue „Generation Porno“ mit flimmernden Bildchen aufwachsen darf, aufwachsen muss, will?
Es war jedoch nur eine kurze Zeit, dass in der Popmusik so eindeutig-direkt gestöhnt und geseufzt werden durfte. Manchen Weltkulturen ging die westliche Freizügigkeit, so lockend sie sich auch auf den Bildschirmen verbreitete, entschieden zu weit. Fundamentalistische christliche oder islamistische Gruppen, auch die östliche und ex-kommunistische Orthodoxie versuchten der ungezügelten Allmacht des Es Grenzen im Über-Ich zu setzen. Bis auf den heutigen Tag.
Dennoch bleibt das Video von George Michael auch heute noch eines der besten Kultur-Dokumente einer freizügig begehrenden männlichen Triebhaftigkeit. Die zwar den Moment der Zweisamkeit genießt, idealiter beidseitig, die aber nicht nachhaltig sein kann. Auf Sex, dem Austausch von Körperflüssigkeiten, der nur zur Belohnung und Lust da ist, kann m.E. keine dauerhafte Lebens-Beziehung aufgebaut werden im Sinne einer sozialen Verantwortung für das Du, das im antiken (Seneca) oder auch existentialistischen Sinne den Weg zum Ende hin, zu Hinfälligkeit, Krankheit und Alter über kurz oder lang immer wird einschlagen müssen (ich wiederhole mich).
Ein zweites Video von George Michael ist interessant und wird als kulturelles Dokument der Zeit ebenfalls überleben: der Hit Freedom ’90 aus dem Jahre 1990. Er ist noch bei weitem interessanter, wenn auch sehr verschlüsselt nur verstehbar, als der oben angesprochene Song. Angeblich soll er ein Emanzipations-Song der Homosexuellen-Bewegung gewesen sein. “Freiheit”, damals überall nur im politischen Sinne des 1989 gerade überwunden geglaubten Kalten Krieges verstanden, wird jetzt zur Befreiung vielleicht sogar im Sinne einer sexistischen Sehnsucht verstanden (man beachte meine Wortwahl). Ein deutlicher Aufruf auch an alle Paare, sich zu trennen, wenn man sich nicht mehr versteht. Der Song beschreibt nicht den schnellen ONS-Sex als ein „one on one“(s.obiges Lied), sondern als die Zeit danach mit einer durchaus befreienden und glücklich machenden Erkenntnis: Ich gehöre nicht zu dir, und du gehörst nicht zu mir („I dont belong to you, and you dont belong to me“). Also trennen wir uns und wir sind wieder frei zu allem Möglichen. Soweit so gut. Oder auch nicht – nach Aristoteles ist jedes animal triste post coitum. Etwas hat nämlich gefehlt.
Das Befremdliche in diesem Video, welches die glitzernde DesignerWelt der 90er Jahre bereits verblüffend genau vorweg nimmt, ist seine inhaltlich chaotische Struktur: Schöne Frauen der aktuellsten Model-Szene schwirren, kriechen, dehnen sich darin herum. Alle singen befremdlich genug mit George Michaels Männerstimme. Der Künstler selbst hängt und singt kopfüber an einer Schaukel, die fünf Models bewegen sich in ganz unterschiedlichen verführerischen Design-Kleidern und Posen. Heftige Explosionen besiegeln das Ende am Schluss (sogar die Gitarre wird dabei verbrannt) – alle diese Bilder scheinen einen unbändigen Freiheitswillen zu illustrieren.
Doch in diesem Video geht es vor allem nur um Verführung, weniger um das Erreichen eines sexuellen Zieles. Es zeigt gerade nicht das Reich des brünstig tanzenden Löwen, der angebunden werden muss, sondern ein schillerndes Reich voller Stil, Schönheit und Eleganz, das gerade nicht zu Freiheit und Selbstbestimmung führen wird. Oder vielleicht doch? – Na ja, wenn wie heutzutage Kreditkarten und Geld und Zeit genug zur Verfügung stehen…
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Fünf Frauen fast schon im Sinne von Edel-Prostituierten baut auch die amerikanische Band Greenday in ihr laszives Pop-Video „Oh Love“ ein. Auch diese Frauen sind überaus schön, und sie posieren verführerisch selbst mit- und untereinander. Doch diese Liebe, von der im Jahre 2014 gesungen wird, beginnt mit einem Seufzer (oh) und endet mit Unbefriedigtsein und Enttäuschung. Auch im Text gibt es Seufzer genug über so viel Ungemach und unglückliches LiebesLeben. Denn die schön stilisierten Design-Frauen inmitten eines privaten Post-Punk-Auftritts bleiben unter sich, erfreuen sich scheinbar nur an der Musik und Ihresgleichen. Wie in Trance fixieren sie die Kamera und blicken uns an. Wer weiß, was sie wohl wollen werden…
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Apropos Prostituierte – wechseln wir in eine andere Tonart, wo weibliche Schönheit gepaart bleibt mit Poesie, Ironie und vielleicht auch Nostalgie. In Max Ophüls’ Film „Das Haus Tellier“ aus dem Jahre 1952 treffen sich einige ehrbare Stadtväter regelmäßig und wie selbstverständlich in einem Edelbordell inmitten einer kleinen Stadt am Meer. Doch eines Tages bleibt dieses Domizil geschlossen. Madame Tellier, die Chefin des Etablissements, hat sich zusammen mit ihren Damen auf den Weg aufs Land zur Erstkommunion ihrer Nichte gemacht. Man reist mit Eisenbahn und Pferdekarren durch eine blühende französische Landschaft und freut such auf ein Abenteuer der ganz besonderen und anderen Art. Weder Sex noch Narzissmus, weder Egomanie noch traurige Adieus sind im Spiel. Auch wenn das Thema Erotik und Verführung latent immer mit schwingt – aber nur als eine selbst verständliche Verführung zu Schönheit und Charme der Natur, zu Menschlichkeit, Humor und unaufdringlicher Distanz. Selbst bittere Tränen werden geweint. Aber nicht wegen Schuld und schlechtem Gewissen, sondern der Nostalgie wegen über das, was wir und die Damen des Hauses Tellier vielleicht ganz verloren haben.
George Michael, „I want your Sex“. 5’23 (Vevo-Video)
George Michael, „Freedom 90“. 7’22 (Vevo-Video)
Greenday, „Oh Love“. 5’12 (Video 2014 Youtube)
Max Ophüls, „Das Haus Tellier“ (70’) der zweite Film aus dem Dreiteiler „Pläsier“(1952) nach einer Novelle von Guy de Maupassant (Youtube)