256 Wieder gelesen: Juvenal (Nr.165/166)
Römische Lektüre (Seneca)
Die beiden Aufsätze über den römischen Lyriker Juvenal sind wieder angeklickt worden. Anders als Martial oder Catull, seine ebenso berühmten Mitstreiter in der Dokumentation römischer Zerfallserscheinungen um die Zeitenwende, die ebenfalls gleichermaßen gut lesbar und interessant sind, mischt sich unter Juvenals Beobachtungen Bitterkeit. Vielleicht auch weil er aus einer Familie mit Militärs stammte und das tagtägliche Abschlachten und Abstechen, muss man wohl sagen, persönlich kennengelernt hat.
Vom Abschlachten und Abstechen mittels Schwert und Speer kann man zwar heute nicht mehr sprechen. Stattdessen hat das großflächige Zertrümmern und Zerstören ganzer Landstriche durch Panzer, Bomben und Flugzeuge Hochkonjunktur und konnte immer noch nicht beendet werden. Was ist das für eine Art von Eroberung, von „Sieg“, wenn nur noch zerstörte Landschaften und jahrhundertelang in mühsamer KulturArbeit aufgebaute WüstenStädte bis auf die Grundmauern zerbombt und menschenleer wieder „eingenommen“ werden können?
Dass auch versteckte und ganz vergessene Folter- und Tötungsmethoden wieder entdeckt werden selbst im 21.Jahrhundert, die dem Blutvergießen und den Quälereien der Antike in Nichts nach stehen, wird uns tagtäglich ebenfalls präsentiert.
Scheinbar gibt es tatsächlich Freuds Todestrieb. Quasi wie ein „Todeshormon“, das antithetisch zum „Lebenstrieb“, zur „Lebensenergie“ des Immunsystems dem Leben ein Ende, zumindest eine Grenze zu setzen gewillt ist. Nicht nur als Alterungsprozess im Körper und in unserer Seele, sondern auch im sozialen Körper einer Gesellschaft, eines Staates. Und dieses negative “Hormon” heißt immer wieder und immer nur Aggressivität.
Aus gegebenem Anlass greife ich deshalb in meinem Blogbericht etwas vor. Meine Seneca-Lektüre mit den 124 “Briefen an Lucilius“ habe ich noch nicht ganz zu Ende geführt. Doch Senecas Beschreibung von tagtäglicher Gewalt in Rom, ja die Konditionierung ganzer Bevölkerungs-Massen hin zu einer unmenschlichen, tierischen Brutalität will ich an dieser Stelle bereits zitieren. Sie hat notwendig die christliche Lehre in die Welt setzen müssen, und dies als Korrektiv bis auf den heutigen Tag, allen Irak-, Afghanistan-, Syrien- und Krim-Versprechungen zum Trotz.
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… Es ist die Zeit der Mittagspause und großen Mittagshitze im täglichen Leben Roms. Die begüterten Schichten haben ihre Verwaltungsarbeit beendet, alles Weitere erledigen die Sklaven, die man entweder als Großfamilie geerbt oder zu mäßig teurem Geld auf dem Sklavenmarkt gekauft hat. Man nimmt einen kurzen Imbiss ein und widmet sich vielleicht der Stunde des Pan, also dem Sex (meist mit Sklaven, auch wenn Sex mit “Dingen” nicht gerne gesehen war). Dann geht man ins Bad, wo man täglich mehr oder weniger hart sportlich trainiert. Auch mit Hanteln und dgl. Anschließend Sauna, Körperhygiene (mit Öl, Seife gibt es noch nicht) und Massage. Man trifft Freunde, liest in den Papyrus-Rollen, lernt neue Brettspiele aus Arabien kennen und diskutiert allerlei Neuigkeiten. Ein junger Mann mit besonders stolzem Gemächt wird gerade von einem Aristokraten abgeschleppt, schreibt Petronius, der Minister für Stil, Geschmack und Design am Kaiserhof in seinem neuen „Satyricon“-Roman und macht sich darüber lustig.
Dann geht’s zurück nach Hause, wo die Bediensteten bereits das Abendessen vorbereitet haben, manchmal mehr, manchmal weniger ausgefallen und üppig. Freunde und Besucher sind meist ebenfalls anwesend.
Mit Untergang der Sonne geht man ins Bett, also täglich immer zu einer anderen Zeit. Ebenso wie man morgens immer unterschiedlich je nach Sonnenaufgang aufgestanden ist und die Morgengrüße der selbst ausgewählten Gäste (Klienten) hat über sich ergehen lassen müssen. Zum Frühstück gibt’s (wie heute auch noch manchmal in Ägypten) in Honigmilch eingelegte und weich aufgequollene Getreidekörner. Schmackhaft und sehr zu empfehlen, kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen.
Zur Abwechslung gehen wir heute nach dem Mittagsimbiss in ein Amphitheater. Wir sitzen in den ersten 14 Reihen, die den Rittern und Aristokraten der Stadt vorbehalten sind. Seneca hat sich dann und wann, wenn ihm die Arbeit bei seinem Schutzbefohlenen Nero zu anstrengend wurde, diesem Vergnügen hingegeben. Jetzt jedoch mit einem sehr zwiespältigen Ergebnis. Er schreibt in seinem siebten Brief an Lucilius (S.16f):
Massen-Belustigungen im Theater
Der Zufall führte mich um die Mittagszeit in eine Schauspielvorstellung. Ich erwartete allerhand Kurzweil, Späße und Erheiterung, kurz lauter Dinge, die mit dem Anblick von Menschenblut so wenig als möglich zu tun hätten, vielmehr davon abzulenken geeignet wären: das Gegenteil war jedoch der Fall.
Alles, was an Kämpfen vorausgegangen war, war hiermit verglichen Barmherzigkeit. Von schönem Scherzspiel keine Spur mehr, alles ist jetzt reiner Menschenmord. Ohne jeden Schutz für den Körper, mit ganzem Leibe dem Schwert-Streiche bloßgestellt, regen sie die Hand niemals vergeblich zum Stoß.
Darin findet die Menge größeres Wohlgefallen als an den paarweise und nach den Regeln der Kunst durchgeführten GladiatorenSpielen.
Warum auch nicht? Weder Helm noch Schild bietet Schutz gegen das Schwert. Wozu Schutzmittel? Wozu künstliche Vorrichtungen? Alles das ist nur eine Verschleppung dessen, worauf es in der Menge ankommt – des Todes. Des Morgens wirft man den Löwen und Bären Menschen vor, des Mittags den Zuschauern. Auf ihren – der Zuschauer – Befehl wird, wer eben glücklich einen Mord vollzogen, einem kampfbereiten anderen Mörder als Opfer vorgeworfen, und der Sieger wieder zu weiteren Mordspielen aufgespart, bis der Tod aller Kämpfer dem Spiel den Abschluss gibt. Mit Feuer und Schwert wird gewütet. So geht’s her in der Zeit der Mittagspause.
Aber vielleicht hat einer einen Raub begangen, hat einen Menschen umgebracht, sagst du. Gut. Er hat einen Mord begangen, hat also den Tod als sein Schicksal verdient. Aber du, Unseliger, was berechtigt dich, den Zuschauer abzugeben und dich daran zu erfreuen?
Töte, rufst du, schlage zu, nimm Feuer zu Hilfe! Warum dieses ängstliche Zögern vor dem Schwert? Warum gibt er den Todesstoß nicht herzhaft genug? Warum stirbt er so ungern? Mit Gewalt muss er ins Blutbad getrieben werden. Mit nackter und willig sich bietender Brust müssen die Kämpfer den wechselseitigen Stößen sich aussetzen.
In dem Schauspiel ist jetzt eine Pause eingetreten. Einstweilen müssen nun verurteilte andere Menschen zur Strafe erwürgt werden, damit doch noch etwas vor sich geht und das Geld für den Eintritt sich gelohnt hat.
Alle die von Seneca beschriebenen Grausamkeiten waren täglich angebotene „Belustigung“ der Massen. Sie waren unumgänglich, um die Bevölkerung und die Soldaten auf den Kampf Mann gegen Mann in den blutigen Feld-Schlachten vorzubereiten, von denen nicht nur Juvenal berichtet. Auch die „Nero-Fackeln“, mit denen Sklaven und Christen hingerichtet wurden, finden hier bei Seneca eine erste Erwähnung. Die „humanste“ Art der Hinrichtung war die Enthauptung, die schlimmste, nur Sklaven und Christen vorbehaltene, die Kreuzigung. Freitod nach stoischer Art, also das Aufschneiden der Pulsadern im warmen Bad, war in der Oberschicht allgemein üblich und akzeptiert. Besonders “großzügige” Herrscher stellten es den Verurteilten der Oberschicht, also mit römischem Bürgerrecht, frei, die Todesart selbst zu wählen. Auch Seneca ist so, zusammen mit seiner Frau, aus dem Leben geschieden. Ebenso Petronius, sein Kollege in Neros „Kabinett“.
Aber auch “traditionelle” Hinrichtungsarten wie zu Tode peitschen, vom Felsen stürzen(Landesverräter) oder einen Giftbecher trinken gab es immer wieder. Gefängnisstrafen (Kerker) waren nur sehr selten. Meist wurde sogar bereits bei Diebstahl kurzer Prozess gemacht. Uber Sklaven konnte man verfügen wie über Dinge. Erst bei Seneca finden wir ein Plädoyer für ihr Menschsein. Aber doch nur mit einem ähnlich ambivalenten Argument, wie es auch heute immer wieder zu hören ist: Wenn wir die Menschen nicht an unserem Reichtum und Leben teilhaben lassen, werden sie zu allem bereit sein. Der schließlich erfolgreich niedergeschlagene Spartakus-Aufstand hat es den Römern gezeigt, wie schwierig die Lage der Herrschenden sein wird, wenn sie sich nicht mehr auf die Zustimmung der Untergebenen verlassen können, auf die sich ihr Reichtum letztlich stützt. Die Nacht hat zwölf Stunden, sagt Brecht. Dann kommt schon der Tag.
Unklar ist, ob auch Frauen bei solchen „Schauspielen“ anwesend waren. Eher nein. Andererseits gab es aber auch in Rom eine mythologische Tradition der Amazonen als weibliche Vorbilder, die sehr zum Entsetzen etwa Martials sich als Gladiatorinnen ausbilden ließen und öffentlich in der Arena kämpften. Selbst in Platons Lehrinstitut, der Akademie, hat sich eine Frau in Männerkleidung herein geschlichen, um einen Zugang zu den nur Männern vorbehaltenen Vorträgen zu finden.
Über Grausamkeit
Lucilius-Brief Nr.14 (Seite 44f)
Vor allem aber erschüttert uns nichts mehr als die Bedrohungen durch fremde Gewalt. Sehr geräuschvoll und ungestüm kündigt sich ihr Auftreten an. Jene natürlichen Übel, von denen ich sprach, Armut und Krankheit, stellen sich in aller Stille ein ohne jeden erschütternden Schrecken für Auge und Ohr.
Dagegen entfaltet sich bei grausamer Gewalt ein gewaltiger Aufwand. Eisen und Feuer hat sie um sich, Ketten und eine Schar von wilden Tieren, denen Menschen zum Fraß dienen sollen. Man denke an Kerker, Kreuz, Folter, an Hals- Eisen und an jenen Pfahl, der mitten durch den Leib getrieben oben am Munde wieder herauskommt, sowie an das Zerreißen der Gliedmassen durch Gespanne, die in entgegengesetzter Richtung daran ziehen, auch an jenes mit Zündstoffen durchwobene Gewand und was sonst noch die Grausamkeit ersonnen hat.
Übersetzung: Otto Apelt (Matrix-Verlag)
Vgl. auch Seneca und Nero Nr.161
Ich veröffentliche an dieser Stelle gelegentlich wieder ältere Aufsätze, die tags zuvor von unbekannten Lesern angeklickt und mir in die Erinnerung zurück gerufen worden sind. Ich studiere diese Texte gerne noch einmal, untersuche ihre Aktualität und verbessere, wenn nötig.