258 Über Sklaverei
Vom reduzierten Denken, Sprechen, Schreiben und Fühlen
“Ich habe irgendwo von dir die Nachricht gelesen, dass…” schreibt er mir in einer kurzen SMS-Botschaft, auf die ich schon sehnlichst einige Tage gewartet habe. So ist das mit den neuen Kommunikationsformen der Gegenwart: Permanent wird man von kurzatmigen Nachrichten zugemüllt. Gelegentlich sind Werbung von Nachricht, Wahrheit von Falschheit sowieso nicht mehr zu unterscheiden. Wer hat wo noch was geschrieben?Und im Spam-Ordner muss man auch noch suchen. Also besser ignorieren und gar nicht, gar nichts mehr lesen.
Was ich im Blog immer wieder als das reduzierte Denken, als das reduzierte Schreiben problematisiert, angedeutet, infrage gestellt habe, entwickelt sich mittlerweile mit einer exponentiellen Kraft und Stärke. Selbst einer der mächtigsten Menschen dieser Welt, der amerikanische Präsident, twittert am liebsten: Er braucht keine Nebensätze mehr zu bilden. Einfache Hauptsätze, auf wenige Zeichen reduziert, genügen vollauf, so dass sich die Menschheit für informiert hält.
Ich schreibe keine Tweets. Erstaunt werdet ihr fragen: Aber du schreibst doch auf Twitter! So oft, und so viel! – Ja, aber nicht zur Information über meine persönlichen Befindlichkeiten, über Tatsachen und Gefühle aus meinem direkten Lebensumkreis, die mir wichtig sind, sondern nur um Menschen, die sich für Kunst gleich welcher Art interessieren, zu informieren, was ich gerade mache, was gerade läuft. Und dass das “Laufen in der Kunst” meine allerwichtigste Lebensbetätigung sein kann, wage ich zu bezweifeln. Die Tweets auf Twitter sind also nur ein Kommunikationsmedium der Werbung. Das Leben mit seinen vielfältigen Herausforderungen an das Ich, das Du und das Wir ist weitaus größer, mächtiger und umfassender als die Kunst, zumindest bei mir. Und es kann am allerwenigsten mit Twitter auf den Begriff gebracht werden.
Auch über das verkürzte Denken habe ich schon immer wieder geschrieben. Verkürzt sich das Schreiben, dann verkürzt sich auch das Denken (und umgekehrt). Etwa einmal in der Woche hat man früher sich die Mühe gemacht, einen Brief mit der Hand zu schreiben. Sehnlichst hat man die Antwort erwartet, sich über die Schrift, die Briefmarke, die Gestaltung dieser Briefe gewundert, geärgert, gefreut und sie oft sogar auch noch gesammelt. Das erste Telefon dann in der Wohnung – was für eine Revolution!
Mittlerweile ist aber das Schreiben per SMS, WhatsApp und sogar eMail ebenso verkürzt und eingeschränkt wie das Denken. Denn das Denken in Hauptsätzen, welches Nebensätze, geschweige denn Nebensätze in Nebensätzen einschließt, überfordert mittlerweile viele Menschen. Es unterfordert aber gleichwohl auch die menschlichen Fähigkeiten: Das Hören, Interpretieren und die Merkfähigkeit, die menschliche Kreativität; letztlich also auch unseren inneren Computer mit seiner Fähigkeit zum rationalen Denken, zum Entscheidungen treffen sic et non und zum Handeln.
Aber auch das Sprechen, sofern es überhaupt noch stattfindet – studieren wir nicht lieber unser Handy, um ein Ziel in der Stadt zu erreichen? – scheint immer mehr sich zu verkürzen. In den Straßenbahnen beobachte ich nur still vor sich hin geneigte Köpfe, die wer weiß was zu studieren scheinen. Ich denke, meist sind es Bilder, keine Worte, geschweige denn Texte. Gut, gelegentlich sieht man doch noch jüngere Menschen, die tatsächlich ein Buch lesen oder sich mit Tablets zieren, welche quasi die alten Bücher ersetzen. Doch meistens wird nur gelangweilt auf den elektronischen Geräten hin und her gescrollt.
Die Ekstase dieser Art von Kommunikation erlebt man mittlerweile im Restaurant. Nicht nur, dass das Handy als neugieriger Teilhaber (Secret sharer) still neben uns auf dem Tisch liegt, schlummert, blinkt, darauf wartet, angetippt zu werden, mit seinen Piepstönen uns in ein Gespräch zu verwickeln sucht – der Beginn der Roboterisierung unserer Kommunikation mit Maschinen-Subjekten. Immer wieder wird das Gespräch abgebrochen durch einen Blick nach unten, ob eine neue Nachricht bereits wieder angekommen ist und auf uns wartet. Es breitet sich in solchen Restaurants zuweilen eine gespenstische und fast schon bedrückende Stille aus, die nur von den gelegentlichen Piepstönen oder dem Flimmern der Geräte unterbrochen wird. Ich übertreibe.
Letzter Schritt: das reduzierte Fühlen. Bei mir zumindest geht dem Fühlen meist immer das Sprechen, das Hören, das Sehen und Verbalisieren des Gesehenen, Gehörten, Gesprochenen voraus. Wenn auch nur in meinem Inneren. Ich mag auch auf die primären Reize etwa der Sexualität reagieren (müssen), aber doch nicht so sehr und zielgerichtet, wie es die Feministinnen uns Männern immer gerne unterstellen. Im Gegenteil: Ich achte darauf, was die Person mit Worten auszudrücken vermag, nicht nur wie sie sich bewegt, wie sie aussieht, wie sie mich anlächelt.
Sie mag mich noch so freundlich anlächeln (schwule Männer zwinkern einen gelegentlich an mit dem Auge), wenn die Worte, die sie an mich richtet, nicht kompatibel mit meinem Denken und Empfinden sind, d.h. wenn ich mit diesen Worten nichts anfangen kann, weil sie mich nicht faszinieren, fesseln, mir die Seele meines Gegenüber andeuten, die sich dann im Laufe des Kennenlernens öffnen, zeigen und enthüllen wird, so dass sich Liebe und Begehren nach und nach entwickeln können – dann ist jede Anstrengung, mit mir in Kontakt zu kommen, vergebliche Liebesmüh. Lasst alle Hoffnung fahren, heißt es in der “Göttlichen Komödie”. So auch bei mir.
Was will ich nun mit dieser langen und redseligen Interpolation sagen?
Es geht um die Entwicklung, Entfaltung und um die Verkürzung der Gefühle beim Mann. Ich denke, dass das Gefühlsleben des Mannes, das Wachsen, Starkwerden und Schrumpfen bis hin zum gänzlichen Verschwinden und Nicht-Existieren seiner Gefühle, anders als bei der Frau, schon a priori zur Verkürzung neigt. Der männliche Rationalismus neigt sehr zum Zurückhalten, ja Abtöten der Gefühle. Selbstbewusst stellt er sich mit seinem kräftigen “Verstand” vor jede Gefühlsregung, will sich gerade nicht davon abhängig machen. Den soldatischen Mann hindern, belästigen, gefährden geradezu die Gefühle. Er braucht Kraft und Stärke und Durchsetzungsvermögen, will er seine Ziele erreichen, die eher keine Zärtlichkeit und „Weichheit”, gerade auch nicht die “Raserei der Verliebung“ (Seneca) einschließen möchten.
Sein Gefühlsleben ist bestimmt und dominiert von Rationalität, “Vernunft”, zweckrationalem Handeln, „Durchrationalisierung” selbst im negativ gemeinten Sinn der Psychoanalyse. Und wenn nun sogar auch dieses Vokabular verkürzt, verkümmert, also reduziert wird, weil nicht mehr rationalisiert, nicht mehr gelesen, reflektiert werden kann (eher nur noch gerechnet, digitalisiert, programmiert oder per Handy kommuniziert wird), muss auch nicht zuletzt die Gefühlsfähigkeit des Mannes, sein Gefühlsleben, das wachsen und genährt werden will, sich reduzieren und verkümmern. Selbst Zeichen des Unterbewusstseins, die interpretiert werden mit Worten, die wir uns klar machen müssen, wenn wir mit einer Person in einen wirklichen und ehrlichen Kontakt treten wollen, werden nicht mehr gesehen oder erkannt. Der Menschl als ein überaus vielschichtiges und feinsinniges Wesen, das sich in allen seinen Fähigkeiten entwickeln und entfalten will, verkümmert auch in Gefühlsleben.
Was tun? – Gelegentlich die Geräte ausschalten, für eine längere Zeit auch, und feststellen, ob es auch ohne diese freundlichen Begleiter unserer Tage geht.
Wenn nicht, sich auf eben diesen Geräten Hilfs-Programme herunterladen (sic!) über Abhängigkeitsverhalten und Sklaverei.
für LT