25 Satyricon (Römische Lektüre I)
Römische Lektüre (I)
Ich werde in unregelmäßiger Reihenfolge an dieser Stelle einige Literaturbeispiele aus der Antike vorstellen, damit man Sprache, Stil und Kultur der Zeit kennenlernen und sie mit unserer Gegenwart vergleichen kann.Heute: SATYRICON von Petronius Arbiter
Ich bin auf Details der Knabenliebe angesprochen worden, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehen kann. Es gibt aber einen Roman aus der römischen Kaiserzeit um 50 n.Chr., welcher unter anderem auch auf dieses Thema Bezug nimmt. Die Sprache bleibt dezent, Pornografie kommt nicht ins Spiel.¹
Das Buch heißt Satyricon und ist von einem Regierungsmitglied, so kann man wohl sagen, des Kaisers Nero geschrieben worden. Sein Autor Petronius Arbiter hat sich nichtsdestotrotz später auf Befehl des Kaisers das Leben nehmen müssen, dergestalt, dass er sich im warmen Wasser der Badewanne die Pulsadern aufschnitt und sie wechselweise wieder verbinden, dann wieder öffnen ließ, um im Sinne der stoischen Schule zu zeigen, dass er über dem Tod steht und keine Angst davor hat. Sein Buch ist in vieler Hinsicht interessant, um die antike Lebensform und Kultur zu studieren, auch wenn vieles bewusst ironisch und satirisch überzeichnet sein mag.
Es geht um zwei junge Männer, Studenten mit Namen Enkolpios und Askyltos,die allerlei Abenteuer im kosmopolitischen Weltreich Roms erleben. Im Zentrum der Rahmenhandlung des Reiseberichts steht ein Liebeszwist der beiden um ihren jugendlichen Geliebten Giton (“Alter etwa 16 Jahre, Lockenkopf, anschmiegsames Wesen, schöne Erscheinung” heißt es in einem Such-Plakat), den jeder nur für sich alleine besitzen will.
Im Mittelpunkt des überlieferten Textes, von dessen ca.18 Büchern nur zwei und die auch noch fragmentarisch nur überliefert sind, steht ein opulentes Gastmahl, in welchem alle Register der römischen Kochkunst, des Genießens, der Unterhaltung, Verführung und Persiflage gezogen werden. Der reiche Gastgeber Trimalchio, ein Emporkömmling und Großgrundbesitzer, unterhält mit seinem sehr beschränkten Geist und seinen beschränkten Reden und Weisheiten unfreiwillig seine Gäste. Unterdessen wird üppig aufgetischt, so dass sogar Luxusgelage unserer Zeit nicht mithalten können.
Im Buch gibt es Einblicke in die Hierarchie von Herr und Knecht, es gibt erotische Geplänkel selbst lesbischer Art, eine ironische Geschichte über die Knabenliebe und dass in den Thermen heute Nachmittag ein junger Mann wegen seinem stolzen Gemächt sofort einen Liebhaber gefunden habe. Enkolpios, die Hauptperson des Geschehens, kommentiert das Gastmahl und seine Vorkommnisse ironisch und macht sich als gebildeter Zeitgenosse immer wieder darüber lustig.
Dazwischen ausführliche Beschreibungen der Delikatessen, die aufgetischt werden und aus aller Herren Länder zu stammen scheinen. Je entfernter, exotischer und befremdlicher, umso besser.
Eingestreut ist vom Autor auch als bewusste Antithese die Geschichte der Witwe zu Ephesus, welche die stoische Lebenshaltung jedoch nur persifliert:
Dazu kommt es jedoch nicht. Ein junger Soldat verführt sie in eben dieser Katakombe zu einem und mehreren Schäferstündchen. Sogar eine Leichenschändung wird dafür in Kauf genommen und der neue Liebhaber gerät dadurch in Lebensgefahr:
“Das verhüte Gott”, sagt die ehrbare Witwe,”dass ich zu gleicher Zeit die zwei Menschen, die mir die liebsten sind, als zwei Leichen sehen muss. Lieber will ich den Toten dran geben als den Lebendigen umbringen”.(1)
Soweit die Geschichte in der Geschichte.
Am Ende der Feier in Trimalchios Villa bricht die Festgesellschaft in der Morgendämmerung schließlich auf, um im bereits fertig gestellten Mausoleum den simulierten Tod des Gastgebers Trimalchio an Ort und Stelle, das heißt auf einem Friedhof, lautstark zu betrauern und zu beweinen.
Alle Protagonisten zeichnen sich im Verlauf des Roman-Fragments durch ihre verkommene Moral und Skrupellosigkeit aus. Oenothea, eine alte Zauberin, soll Enkolpios, der sich mit Männern wie Frauen einlassen muss darf soll und möchte, von seiner vorübergehenden Impotenz heilen – scheinbar ein Hauptproblem dieses Helden und dieses Romans. Wundertätige Halbgötter, ein leibhaftiger Hermaphrodit, werden (in der späteren Fellini-Verfilmung) aus dem Tempel geraubt und zu Tode gebracht; Schönheit und sexuelles Begehren retten Enkolpios jedoch immer wieder das Leben.
In dem aufschlussreichen Buch aus dem 1.Jahrhundert n.Chr., das in dem turbulenten Zeitalter Neros entstanden ist (immerhin hat die Stadt bereits lichterloh gebrannt und der Kaiser spielte die Harfe zu diesem “Schauspiel”) finden sich auch Selbstanklagen und kritische Zweifel. Etwa in der Mitte des vielstündigen Gelages kommt ein Gast mit Namen Seleucus von einer Beerdigung und klagt angesichts des wilden Treibens um ihn herum:
“Gott, ach Gott! Wie aufgeblasene Schläuche laufen wir umher. Wir sind weniger wert als die Fliegen, und dabei haben die Fliegen doch noch etwas Gutes, wir – wir sind nicht mehr wert als Luftblasen.”
Im Finale steht für uns alle ein Schiff bereit, das uns aus dieser verkommenen Welt in eine bessere Zukunft nach Afrika bringen wird. Aber auch auf dieser Schiffspassage warten weitere amouröse Abenteuer und Todesgefahren auf uns und unsere Helden.
Das Buch endet mit dem Verzehr einer Leiche. Der Verstorbene hatte eben dies vorgeschrieben, wenn man seine hinterlassene Erbschaft antreten wolle. In der Zwischenzeit muss auch Enkolpios, der weiterhin von Gott Priapus gepeinigte Held – auch wenn sein Liebling sich mittlerweile für ihn entschieden hat – nach einem Schiffbruch den Tod eines seiner ungeliebten Liebhaber am Meeresstrand beklagen:
“Als wir am nächsten Tag einen Plan aufstellten, in welcher Gegend wir unser Heil suchen sollten, sehe ich plötzlich, wie ein menschlicher Körper in der leichten Dünung kreist und dem Ufer zutreibt…Lichas war es, der mir fast vor den Füßen lag. Da konnte ich die Tränen nicht länger zurück halten, nein, wieder und wieder schlug ich meine Hände an die Brust und rief:”Wo ist jetzt dein Grimm, wo deine Ungebärdigkeit? Ja freilich, Fischen und Raubtieren bist du preisgegeben, von deinem großen Schiff hast du noch nicht einmal eine Planke in Seenot zur Verfügung. Voran jetzt, Erdenbürger: werft euch mit großen Ideen in die Brust! Voran, wer auf Sicherung bedacht ist: legt eure ergaunerten Reichtümer auf tausend Jahre an! Ja freilich, der hier hat noch unter der gestrigen Sonne seine Vermögensbilanz geprüft, ja freilich, auch den Tag, an dem er nach Hause kommen würde, hat er in seinen Gedanken festgesetzt! All ihr Götter im Himmel, wie weit von seinem Ziel liegt er da!
Wenn man genau Bilanz zieht, so ist überall Schiffbruch.”
Dies ist nun eine sehr existenzielle und bittere Klage eines jungen Mannes, dem scheinbar die halbe Welt mit all ihrem Reichtum und Luxus und ihren Vergnügungen offen steht. Deutlich wird jedoch immer wieder die weltanschauliche Orientierungslosigkeit auch von Petronius selbst mitsamt seiner Zeit. Alles wird persifliert, verspottet, nicht ernst genommen. Die beiden sich heftig bekämpfenden führenden Schulen der Zeit, Hedonismus und Stoa oder auch die Wissenschaftsgläubigkeit der Anhänger des Aristoteles werden in Frage gestellt ebenso wie gierige Profitsucht, übergroße Dummheit und maßloser Luxus der Zeitgenossen. Wir sind darüber hinaus umgeben von Wahrsagereien, Aberglauben, Hexen und kleinen wie großen Ganoven. Doch dann und wann blitzt wieder trotz der burlesken Abenteuer eine fast trostlose Niedergeschlagenheit durch die Lektüre, eine existenzielle Verzweiflung, die ebenso auch in unsere Gegenwart der vollen Eisschränke, klugen Ablenkungen und kalten Herzen passen würde.
Eindringlich und bravourös in Szene gesetzt hat diesen Roman der italienische Regisseur Federico Fellini 1969, auch wenn seine Verfilmung mit dem Titel “Satyricon” in ihrer mysteriösen und oft grell überzeichneten Art eher zum faszinierenden Zerr- als zum Spiegelbild der spätantiken, das ist auch unserer Zeit und Gegenwart wird.
Beeindruckend auch Fellinis in der antiken Literatur gefundene und dort sehr berühmt gewordene Antithese, die er eigenmächtig in den Film eingebaut hat: Eine Villa auf dem Land wird bei Kriegswirren überfallen und ist dem Untergang geweiht. Der Herr des Hauses und seine Gattin, beide in jeder Hinsicht ein Vorbild stoischer Lebensführung, entlässt zuerst in einem feierlichen Abschieds-Ritual alle seine Sklaven in die Freiheit. Dann begibt er sich ins Bad. Seine Frau ersticht sich vor seinen Augen, reicht ihm den Dolch sterbend mit den Worten: “Nimm, Paetus, es tut nicht weh. (“Paete, non dolet”). Aber was du machen wirst, bereitet mir Pein”.
¹Ich beziehe mich auf zwei Übersetzungen des “Satyricon”. Einmal die etwas verstaubt und behäbig wirkende Pionierfassung von Konrad Müller und Wilhelm Ehlers (“Satyrica”, deutsch-lateinisch, Artemis-Verlag 1983) und zum andern auf die lesenswerte Sammlung “Römische Satiren” mit weiteren antiken Texten in der (DDR-)Fassung von Werner Krenkel (Aufbau-Verlag Berlin 1984).