264 Popmusik (13)
Das Leben lieben
(Robbie Williams)
Binde deine Seele an
mich. Ich werde Dich nieujjuj
ganz aufgeben. Eines Tages
werden Deine Hände
stark genug sein,
mich zu halten.
Ich werde nicht immer
da sein können für Deine
Kämpfe, aber Du wirst sie
vielleicht gewinnen. Ich
bete darum, Dir all das
mit geben zu können,
dass Du eines Tages
sagen wirst zu
mir:
Ich liebe mein Leben
Ich bin stark
Ich bin schön
Ich bin frei
Ich liebe mein Leben
Ich bin wunderbar
Ich bin magisch
Ich bin ich und
ich liebe mein Leben!
*
Ich bin nicht nur
meine Fehler, Gott weiß,
dass ich welche habe. Ich
fragte die Engel, und ihre
Antwort warst –
Du!
Ich kann nicht versprechen,
Dass es keine Traurigkeit geben
wird, ich würde sie dir gerne
ersparen. Aber du wirst die
Kraft haben, einiges Verrückte
durchzustehen und dann zu singen,
weil es doch wirklich so ist:
dass du dein Leben
liebst.
Finde Menschen mit einem
Herzen wie Deines,
laufe davon, weit, weit
weg. Sei frei! – Ich bin
dabei und jetzt
auch genau dort,
wo ich habe sein
wollen.
***
Auch die wildesten Löwen und Wölfe finden endlich ihre Höhlen. Selbst Robbie Williams ist in der Tiefe, bei den Wurzeln angekommen – einer Familie. Die Herkunftsfamilie war scheinbar der Horror. Die Gegenwart – der Sinn. Ich sage nicht voll mit Glück, Geld, Lust, Spaß oder Ruhm. Die Reihe ist beliebig fortsetzbar.
Doch der größte britische Popstar der Gegenwart, in den USA hat er seltsamer Weise immer noch nur sehr wenige Fans, lebt seit mehr als zehn Jahren bereits in einer Ehe. Er hat mittlerweile zwei Kinder. In einem Interview bekennt er, dass er gerade dieses neue und auch in der Text-Botschaft vielleicht doch System sprengende Lied seinen beiden drei- und fünfjährigen Kindern als positive Botschaft mit auf den Weg gegeben hat: „This song is about hope and spreading positivity instead of negativity“(Wikipedia Love My Life, song).
Zuerst erschrickt man über die Selbstherrlichkeit des Textes, bezieht ihn nur auf das wieder übersteigerte Selbstwertgefühl eines Rockstars und wird auch in dem dazu gehörenden Official Video darin bestärkt. Abstoßend, immer wieder Narzissmus. Was für ein Angeber, eine Selbsttäuschung, ein folgenschwerer Irrtum. Wie kann man nur so falsch liegen.
Typisch Pop: Lüge und Schein.
Doch in dem nach folgenden „Motherfucker“-Lied auf der neuen CD kippt die Stimmung schonungslos um ins Gegenteilige. Da steht nun kein stolzer Sieger mehr vor uns, der sich am Getümmel der Verehrer und Presseleute bei einem schönen Strand-Spaziergang weidet, sondern eine von vielen Schlägen des Schicksals zutiefst gequälte Kreatur, die Robbie Williams tatsächlich auch gewesen sein mag. Und die sich mühsam genug nun vom Boden wieder hat aufrappeln können.
Dann schalte ich doch lieber um auf das andere Leben-Liebes-Lied (s.o.), welches mit dem tröstlichen Spruch endet, dass der Künstler endlich einen Platz gefunden habe, wo er sein will.
Dass das Leben mehr als Lust und Spaß und Hedonismus sein kann, das wissen wir mittlerweile. Dass es Bindung bedeutet, Wurzeln schlagen in der Tiefe einer Gemeinschaft, im Sozialen, ebenfalls. Selbst AT, obgleich invertiert, plant eine Familie in seinem neuen Lebensentwurf mit ein. Dass eben dort oder anderswo nur das Glück warten würde, das wird niemand behaupten wollen. Aber jedes Leben ist mehr als es verspricht, jede Bindung, jede Liebe überraschender und anders als sie vor gibt zu sein.
Lesen wir deshalb jetzt mit einem ganz anderen Blick und einer anderen Übersetzung des englischen „you“, diesmal nämlich als Mehrzahl verstanden und an die eigenen Kinder gerichtet, noch einmal den Text. Nach all diesen Kriegen und Schlachten gibt der Künstler ihnen die Hoffnung auf Stärke, Kraft und Selbstbewusstsein mit auf den Weg. Im Hinterkopf mag auch das schöne portugiesische Sprichwort verborgen mitschwingen, dass Gott große Schlachten nur großen Kämpfern gibt.
Das Leben lieben
Bindet eure Seelen an
mich. Ich werde Euch nie
ganz aufgeben. Eines Tages
werden Eure Hände
stark genug sein,
mich zu halten.
Ich werde nicht immer
da sein können für Eure
Kämpfe, aber Ihr werdet sie
vielleicht gewinnen. Ich
bete darum, Euch all das
mit geben zu können,
dass Ihr einesTages
sagen werdet zu
mir:
Ich liebe mein Leben
Ich bin stark
Ich bin schön
Ich bin frei
Ich liebe mein Leben
Ich bin wunderbar
Ich bin magisch
Ich bin ich und
ich liebe mein Leben!
*
Ich bin nicht nur
meine Fehler, Gott weiß,
dass ich welche habe. Ich
fragte die Engel, und ihre
Antwort wart –
Ihr!
Ich kann nicht versprechen,
Dass es keine Traurigkeit geben
wird, ich würde sie euch gerne
ersparen. Aber Ihr werdet die
Kraft haben, einiges Verrückte
durchzustehen und dann zu singen,
weil es doch wirklich so ist:
dass Ihr euer Leben
liebt.
Findet Menschen mit einem
Herzen wie Eures,
lauft davon, weit, weit
weg. Seid frei! – Ich bin
dabei und jetzt
auch genau dort,
wo ich habe sein
wollen.
Robbie Williams, Love My Life – aus: The Heavy Entertainment Show (11/2016) 1 CD
Mein Buch „Drei Popsongs über die Begegnung der Geschlechter“ widmet sich ausführlich „Feel“, einem weiteren musikalisch sehr ähnlichen Song von Robbie Williams. Aber Vorsicht: Dieser dekonstruktive Essay kippt gelegentlich von seiner subtilen sprachspielerischen Ironie um in die Parodie einer Interpretation. Also nicht alles zu ernst nehmen! (Reinhold Urmetzer, „Drei Popsongs über die Begegnung der Geschlechter“, 2012, ISBN 978-3-8491-2092-4, 14.99 Euro, als eBook 9,99 Euro). Wer bei der edition weissenburg bestellt, erhält wie immer ein signiertes Exemplar.
für AR