266 Dionysius Areopagita
Über die Namen von Gott (Negative Theologie)
Die Beschäftigung mit Nikolaus Cusanus hat mich zur Quelle seiner negativen Theologie geführt, auf die er sich und noch etliche andere vor und nach ihm stützen: Dionysius Areopagita. Der syrische Mönch – er lebte um 500 n.Chr. im oströmischen Reich, sprach und schrieb in Griechisch – ist der erste christliche Denker, der Konsequenzen aus den skeptischen Isosthenien des Sextus Empirikus gezogen hat: Dass das Sprechen und Denken auch über Gott ebenso viel Wahrheit wie Falschheit hervor bringen kann. Dass es deshalb besser und konsequenter sein kann zu schweigen. Oder, wie auch Cusanus sagt, die göttliche “Dunkelheit” zu akzeptieren, die gleichwohl dem “göttlichen Licht” quasi wie eine Ergänzung zur Seite steht und das es gleichwohl ebenso gibt.
Also stehen wir vor einer paradoxen und altbekannten Situation: Gott zeigt sich (manchen) und er zeigt sich manchen nicht. Dionysius versucht dennoch, sich Gott mit diesem paradoxen Denken zu nähern. Er nennt es Mystik, mystisches Erkennen, mystische Theologie. Auch Cusanus spricht von der Unerkennbarkeit Gottes, von seiner Dunkelheit, die sich unserem Suchen entzieht. Und dennoch ist Gott und sendet uns Gott ein “hellstes Licht”. Denn mit Plotin gedacht ist Gott wie ein Bündel voll Wahrheit und Licht, das sich über die Erde und den Menschen mit seinen Religionen zerstreut, wenn man bereit ist, an Gottes Offenbarungen und Zeichen zu glauben. Mögen sie auch noch so dunkel, versteckt, verschlüsselt für uns sein.
Drei Weltreligionen „des Buches“ (sagen die asiatischen Religionen) haben sich auf die Suche nach diesem Licht mittels Sprache gemacht: Das Judentum, das Christentum und die Muslime. Alle deren Mystiker haben oft genug als Ergebnis das sprachlose und “helle Dunkel” (Cusanus) in dieser Paradoxie gefunden.
Die beiden anderen großen Religionen, Buddhismus und Hinduismus, verzichten demgegenüber meist auf die Suche nach dem vielleicht sogar platonischen „Licht des Erkennens“ durch das Wort und ziehen sich ganz nur in die Kontemplation zurück. Sie kapitulieren vor der Dunkelheit, vor der Widersprüchlichkeit und Paradoxie des menschlichen Geistes und seines Versuchs einer GottesErkennnis durch das Wort, durch die Bücher.
Stattdessen ziehen sie sich auf das Ich oder die Leere zurück, in die Stille, Dunkelheit und Meditation. In rein sinnliche Erfahrungen auch (im Tantrismus der Hindus sogar mit Hilfe der Sexualität), die das geistige Erkennen immer wieder relativieren können.
Gott ist mehr als wir von ihm wissen, als wir von ihm denken und ahnen können. Er steht übermächtig und erhaben über aller Begrifflichkeit und unserem Denken, über unseren Namen, die wir für ihn finden. Nicht zuletzt steht er auch ganz über unserem menschlichen Ameisenhaufen, Ameisenstaat. Oder, wie Pascal sagt, er gehört einer anderen Ordnung, einer anderen Dimension an wie Punkt, Gerade, Fläche, die Zeit jeweils anderen Ordnungen angehören und so fort. Die Ameisen können den Menschen nicht erkennen, noch nicht einmal sinnlich wahrnehmen. Ebenso wie die Pflanzen die Ameisen oder die Steine die Pflanzen weder erkennen noch denken oder wie auch immer in Erfahrung bringen können. Wobei auch der Begriff “Gott” nur ein sehr unvollkommenes Wort, eine Hilfskonstruktion des menschlichen Geistes für das Unerklärliche, Unverstehbare, uns Begrenzende ist.
Alle Bezeichnungen Gottes mit Namen unterliegen schon seit Menschen-Gedenken der Relativität und Vergänglichkeit. Sie hängen eng mit Macht und Ohnmacht und unserem Erkenntnis-Vermögen zusammen. Selbst die negative Bestimmung von Gott, wer oder was er nicht ist, scheitert letztlich daran. Gott bleibt deshalb immer der “Jenseitige”, das „Ganz Andere“, das „Mehr als“, das “Transzendentale”, die Transzendenz, wie die neuere Philosophie alles Unerkennbare oder über das Erkennen und Erfahren Hinausgehende benannt hat. Dieser Transzendenz kann nur begegnet werden, indem man Widersprüche und Paradoxien akzeptiert. Im Zen-Buddhismus führt ein solches Vorgehen und Erkennen zur (befreienden) Leere. Im Abendland zur Mystik. Mystische Theologie nennt dies Dionysius als Erster überhaupt.
Im Folgenden zitiere ich aus der neuen Ausgabe der dionysischen Schriften in der Auswahl von Gerhard Wehr, S.116-130 (1):
Gott ist nicht Seele und auch nicht Geist, ihm ist weder Einbildungskraft zu eigen noch Meinung, noch Vernunft, noch Erkenntnis. Gott kann weder ausgesprochen noch gedacht werden. Er ist weder Zahl noch Ordnung, noch Größe noch Kleinheit, nicht Gleichheit und Ungleichheit, nicht Ähnlichkeit, nicht Unähnlichkeit. Er kann nicht unbeweglich sein, auch nicht sich bewegen, er ist nicht Ruhe und nicht Macht, noch hat er sie. Er kann seine eigene Veränderung nicht wollen, noch sie bewirken. Er ist nicht Licht, er lebt nicht und ist nicht Leben. Er ist nicht Sein, nicht Ewigkeit, nicht Zeit. Man kann ihn nicht mit Denken erfassen. Er ist nicht Wissen, nicht Wahrheit, nicht Herrschaft, nicht Weisheit, nicht die Eins und nicht die Einheit, nicht Göttlichkeit, Güte und Geist, so wie wir diese Worte verstehen.
Es gibt kein Wort, keinen Namen, kein Wissen über ihn. Er ist nicht Dunkelheit und nicht Licht, nicht Irrtum und Wahrheit. Man kann ihm überhaupt weder etwas zusprechen noch absprechen: Er steht über jeder Zusprechung oder Absprechung, er ist die absolute und alleinige Ursache aller Dinge. Er steht auch über jeder Verneinung, welcher die Fülle zukommt. Er steht außerhalb und über allen Dingen.
Es gibt bei ihm weder Ja noch Nein. In das, was unter ihm ist, setzen wir zwar Ja und Nein. In ihn selbst aber setzen wir nichts, weder in bejahendem Sinn noch im verneinendem Sinn. Denn erhaben über alles Ja ist er die vollkommene Ursache von allem, und erhaben über alles Nein und jenseits von allem ist er zugleich – nämlich als schlechthin jenseitig, allem entrückt – die letzte Ursache.
Dennoch gibt es ein Gebet an diesen unerkennbaren und fernen Gott, der so lebendig und mächtig ist trotz seiner fremden Ferne in der Welt und im Denken des Menschen so aktiv wirksam sein kann:
Du, der du über alle christliche GottesWeisheit wachst, führe uns nicht nur jenseits von Licht und Dunkel, sondern auch über das Unerkennbare hinaus bis nahe an den höchsten Gipfel des mystisch deutbaren Wortes, bis dorthin, wo die einfachen, absoluten, unversehrteren Mysterien des Gotteswissens offenbar werden und wo die Dunkelheit des Schweigens über alles Licht hinaus die Wahrheit enthält: denn – tatsächlich – in diesem Schweigen enthüllen sich die Geheimnisse des Dunkels.
O Dunkel des Schweigens! Es wäre nicht genug, von dir zu sagen, dass du vor lauter Finsternis in strahlendem Licht aufglänzest, nicht genug, von dir zu glauben, dass dein Glanz sich immer gleich bleibt, unstörbar und unzerstörbar, nie zu sehen und nie zu erreichen. Es wäre auch nicht genug, von dir zu sagen, dass du, Dunkelheit des Urgrundes, jenen vollkommenen Geist, der die Augen des Daseins und die Augen des Seins schließen kann, mit der Leuchtkraft deiner Fülle bis zum Bersten blendest und dass du schöner bist als die Schönheit selbst!
Schließlich wendet sich Dionysius direkt an seinen Mitbruder Timotheus, an den seine Zeilen und auch sein ganzes Buch gerichtet sind:
Erst wenn du dich von allem ganz entäußert hast und ohne jeden Rest leer bist, erst dann wirst du dich in reinster Ekstase bis zu jenem dunkelsten Strahl erheben können, der aus der UrGottheit vor aller Erschaffung kam, jenseits von aller Welt und jenseits von allem Sein, entblößt auch noch von dem, was jeden und dich selbst erst zum menschlichen Wesen macht.
Dass das Christentum nicht ganz im kontemplativen Nicht-Wissen zusammen gebrochen ist, verdankt es wohl nicht zuletzt Thomas von Aquin (2, 3), der im Hochmittelalter den großen Unterschied zwischen Wissen und Glauben betont hat und schließlich auch davon überzeugt war, dass der unerkennbare (christliche) Gott dennoch sich den Menschen gezeigt, geoffenbart habe – durch die Worte der Bibel.
Diese Worte (“Offenbarungen”) müssen interpretiert, verständlich gemacht, dann geglaubt, also für wahr gehalten werden. Sie sind überzeitlich und stehen auch als Wahrheiten des Glaubens und nicht des Wissens über jedem Zweifel. Zumal einige davon, etwa der Gottesbegriff oder die Vorstellungen von Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit bereits von Platon, Aristoteles, Augustinus und vielen anderen interpretiert worden und an das jeweilige Denken und Sprechen der Zeit angepasst worden sind.
Was dem gegenwärtigen Denken jedoch noch nicht oder nicht mehr gelingt. Auch wenn bereits versucht wird, mit Zeichen wie Null (0) und Eins (1), Quanten, Strings, seelisch-geistige Energie, Entropie, Urknall und so fort ein neues Vokabular, eine neue Sprache zu finden, die auch Gott nicht ausschließt.
Doch bis zum Wiederfinden Gottes, also seiner Wieder-Auferstehung mit neuem Namen, einer Neu-Interpretation seines Begriffs-Zeichens, wird noch eine gewisse Zeit vergehen, werden wir diese gegenwärtige Dunkelheit aushalten müssen, wie ich denke. An jenem Tage wird er einer sein, und auch sein Name wird “Einer” sein, schreibt Thomas von Aquin(4)
für PJR
1 Dionysius Areopagita, Werke, ausgewählt von Gerhard Wehr (matrixverlag 2013):
Über die himmlische Hierarchie – De caelesti hierarchia (darin auch Über die Hierarchie der Engel), Über die kirchliche Hierarchie – De ecclesiastica hierarchia, Über die göttlichen Namen – De divinis nominibus, Über die mystische Theologie – De mystica theologica
2 Bis auf den heutigen Tag ist Thomas von Aquin der „Hof-Philosoph“ des Vatikans, quasi der „Chef-Ideologe“ des Papstes geblieben.
3 Vgl. Reinhold Urmetzer, „Das Auge des Adlers“ – Über Thomas von Aquin (ISBN 978-3-0002440-1-8, 2008, 16,50 Euro). Mit einem Essay „Über das Weiße“ und Illustrationen von Albrecht Fendrich. – Eines meiner meist verkauften Bücher.
4 Thomas von Aquin, Compendium theologicae 1, 24