271 Über Augustus
Er sei sein “sauberster Schwanz” und ein “ganz reizendes Kerlchen”, sagte er von ihm. Was ist das für eine seltsam freundliche Bezeichnung, jemanden seinen “purissimum penem” zu nennen? Horaz, der so schmeichelhaft Angesprochene geht jedoch nicht auf solcherart Werbungen ein. Er scheint sich bei diesen Gunstbeweisen nicht sonderlich wohl gefühlt zu haben. Nein, er will frei bleiben, unabhängig sein. Selbst wenn der um ihn Werbende ein großer, vielleicht sogar ein großartiger Kaiser ist. Immer wieder ist er auf sein Landgut, das ihm Maecenas geschenkt hatte, in die Berge geflüchtet und er hat sich nur dann und wann am Kaiserhof gezeigt.
Augustus hat tatsächlich dergestalt und nachzulesen in den Kaiserbiographien des Sueton um den Dichter Horaz geworben (1). Immer wieder. Zu seinem Privat-Sekretär hat er ihn machen wollen. Vergeblich. Horaz bedankte sich mit schönen Gedichten, auch weil sich der Kaiser bei ihm beschwert hat: “Wisse, dass ich dir böse bin, weil du in sehr vielen deiner Gedichte ausgerechnet mit mir nicht sprichst. Hast du etwa Angst, es könnte dir bei der Nachwelt schaden, wenn man den Eindruck hat, du seiest mein Freund?”
Augustus selbst hat in seinem illustren Literaten-Kreis, darunter so berühmte Schriftsteller wie Vergil, Properz, Maecenas, Varius Rufus, Gallus und eben auch Horaz, nur sehr wenig Literarisches vorzuweisen gehabt. Wenn überhaupt. Er hat es zwar in jungen Jahren mit einer Tragödie versucht, pflichtgemäß und wie so viele aus dieser Schicht; aber vergeblich. Das war sein Komplex. Intellektuell oder künstlerisch begabt war er nicht. Dafür aber ehrgeizig und zeitweise brutal. In seiner Kindheit soll er gleichwohl kränklich und schmächtig gewesen sein. Dann kam sein kometenhafter Aufstieg als Geliebter Caesars und, als Rächer und Erbe seines Adoptiv-Vaters, wieder der Bürgerkrieg – mit 19 Jahren war er der jüngste Feldherr der Welt und ein glorreicher Sieger.
Sein Groß-Onkel Gaius Julius Caesar, mit dem er in einem “unzüchtigen Verhältnis” in seiner Jugend gelebt haben soll, so heißt es auch bei Sueton, hat Bücher und sogar Gedichte geschrieben. Mit heftigen und kunstvoll ausgearbeiteten Reden soll er seine Legionen und Hilfstruppen mit bis zu 30.000 Soldaten vor der Schlacht angestachelt haben. Sogar mit Cicero hat er sich messen wollen und sprachphilosophische Abhandlungen verfasst („Über Analogie“). Und er hat trotz aller Abneigung und Differenz doch auch Ciceros Respekt gefunden.
Aber er, Augustus, Adoptivsohn und Nachfolger Caesars als Herrscher der Welt, war kein Schriftsteller. Er war ein vielschichtiger Mensch und Herrscher, ein Krieger und Stratege, auch ein überzeugter Traditionalist, ein Konservativer. Aber nicht feinsinnig und feingeistig wie die Freunde in seinem Literaten-Zirkel.
Er war eitel, gewiss. Als Kaiser hat er nur solche marmornen Büsten und Standbilder von sich für die Nachwelt aufstellen lassen, welche ihn immer in gleicher Weise als besonders schön und makellos wie Apollo darstellten. Er hat sich im spanischen Krieg unter Caesar, jetzt ist er gerade erst 18 Jahre jung, die Haare an den Beinen abrasiert, besser gesagt ausgezupft, um nach der Mode der Zeit seinen Liebhabern zu gefallen, berichtet Sueton. Auch habe er das Angebot von Hirtius, einem von Caesars Oberbefehlshabern in diesem Krieg und späteren Konsul, angenommen, zu einem hohen GeldPreis sich ihm sexuell zur Verfügung zu stellen.(2)
Als Oberbefehlshaber und CaesarRächer im Bürgerkrieg gegen Marcus Antonius war er wie sein Stiefvater gelegentlich auch (nur später wurde er ebenso wie Caesar “altersmilde”) überaus grausam und brutal. Seinen 17jährigen Stiefbruder und direkten Thronrivalen Caesarion, ein Kind aus Caesars Liaison mit Kleopatra, hat er in Rom skrupellos hinrichten lassen.
Selbst den Tod Ciceros hat er nach einigem Zögern aus machtpolitischen Gründen schließlich akzeptiert.
Nicht desto trotz ist er dann später zum Alleinherrscher der Welt geworden, viel bewundert, viel bejubelt, früh schon als Gott (divus) angebetet. Fast ein makelloses Wahrzeichen und Vorbild für viele KaiserGenerationen danach.
Jetzt, im Literaten-Zirkel um seinen Freund Maecenas, ist er die Weisheit und Großmut in Person. Sein makelloser Ruf strahlt bis in unsere Zeit hinein als ein Friedensfürst, ein Baumeister und Förderer der Kunst. Noch in seiner Lebenszeit ist auch Jesus in der Provinz Syria im jüdischen Nazareth geboren worden. Christen hat das Augusteische Zeitalter noch nicht gekannt und wenn, dann nur im Untergrund.
Im erlauchten Freundeskreis von Augustus war jedoch Maecenas tonangebend, ebenfalls Künstler und Poet, aber auch Förderer (Mäzen) der Kunst und Chefdiplomat, heute würde man wohl Außenminister sagen, des Kaisers.
Vor allem Maecenas sollte man sich etwas genauer ansehen. Er war reich und aus adeligem Geschlecht. Seneca hat in seinen Lucilius-Briefen kein gutes Haar an ihm gelassen. Zu unmännlich, zu “verweichlicht” (“weibisch”) sei er gewesen. Fürchterlich aufwendig gekleidet sogar in der Öffentlichkeit und mit einem seltsamen Gang. Heute, mehr als zweitausend Jahre später, würde man vielleicht Transvestit zu ihm sagen, sogar eine Geschlechtsumwandlung anregen. Auch wenn Maecenas immer wieder verheiratet und dann auch immer wieder geschieden war – mit der gleichen Frau wohlgemerkt.
Aber das waren andere Zeiten und Gender-Sitten damals im MilitärStaat, der so ausschließlich nur von Männern dominiert war. Über Caesar sangen sogar seine Soldaten auf den Triumphzügen (nach Sueton): Er war Mann einer jeden Frau und Frau eines jeden Mannes.
Maecenas war klug und ein intimer Freund von Augustus. Schon im Bürgerkrieg gegen Marcus Antonius war er in diplomatischer Mission als Unterhändler und politischer Vermittler unterwegs. Zu einer dieser Missionen hat er sogar die beiden DichterFreunde Horaz und Vergil mitgenommen. Horaz hat darüber den ersten Reisebericht der Literaturgeschichte geschrieben. Doch die Bemühungen von Maecenas waren vergeblich. Aber Octavian, erst später wird er Augustus genannt (selbst ein Monatsname geht auf ihn zurück), hat schließlich doch diesen Krieg gewonnen und ein monarchistisches System in Rom begründet.
Horaz liebte und bewunderte Maecenas aufrichtig. Er hat ihm einige sehr schöne Gedichte geschrieben und auch sein Wunsch, zusammen mit dem Freund zu sterben, ging fast in Erfüllung – nur wenige Monate nach dem Tod von Maecenas ist auch Horaz gestorben.
Augustus hat sich in diesem KünstlerKreis anscheinend sehr wohl gefühlt. Weniger wegen der gleichgeschlechtlichen Eskapaden, sondern auch wegen der künstlerischen und intellektuellen Meisterschaft aller Anwesenden. Einem damals berühmtesten Künstler der Zeit und besten Freund Vergils, Gaius Gallus, hat er gleichwohl die Freundschaft gekündigt (Renuntiatio amicitiae) und ihn damit später auch in den Freitod getrieben.
Mit Frauen hat sich Augustus wie jeder andere in diesem Kreis nicht sonderlich intensiv beschäftigt. Ehefrauen waren nur aus staatspolitischen Gründen notwendig. Sie gehörten im zeremoniellen Gepräge der Zeit dazu und waren deshalb eine permanente politische “Verhandlungs-Masse”. Vor allem zur Aufrechterhaltung der Genealogie. Unsterblich konnte man nur mit „Kindern des Geistes oder des Körpers“ werden (Platon). An eine Auferstehung glaubte niemand. Außer man war Kaiser, dem man später dann GebetsTempel errichtete, wenn die „Auferstehung“ nach dem Tod mit Eid beschworen werden konnte von einem Zeugen. Was auch immer geschah.
Dass allgemein nur wenig Kinder auf die Welt kamen, war jedoch ein großes sozialpolitisches Problem für Augustus und die Spätantike allgemein. Auch Sparta soll schließlich am Ende seiner Zeit auf nur noch ein Drittel seiner Bevölkerung geschrumpft sein. Nicht zuletzt in Folge seiner Förderung der Homosexualität, mutmaßen einige Geschichtswissenschaftler(3). Augustus hat entsprechende Gesetze zur Förderung der Geburtenrate erlassen. Aber selbst er konnte seine Genealogie nur mittels Adoption sichern.
Seiner staatsbürgerlichen Pflicht zur Familienbildung kam dergestalt nicht jeder der Oberschicht nach. Man war auf die Großmut des Herrschers angewiesen („Dreikinderrecht“ auch ohne Kind) und konnte sich gelegentlich frei kaufen. Die Freiheit zu Lust und Ausschweifung nutzte man auch und ebenso intensiv für gleichgeschlechtliche Beziehungen. Eine MännerFreundschaft zählte im täglichen Leben darüber hinaus bedeutend mehr als eine Vaterschaft, die immer mit einer Familie, einer mühsamen Bindung an Monogamie und Haus und Herd einher ging. Bücher über Freundschaft gibt es in der Antike genug, aber nur wenige über Ehe, geschweige denn über Familie und Kinder.
Augustus hat immerhin keine Gewaltherrschaft begründet. Im Gegensatz zu seinen zahlreichen Nachfolgern, die teilweise zu blindwütigen Tyrannen geworden sind. Im Gegenteil: Sogar einen aristokratischen Attentäter, der die Monarchie noch einmal verhindern wollte, hat er großmütig begnadigt und ihm das Leben geschenkt.
*
Zwei historische „Wahrheiten” der Geschichtswissenschaft kann ich bis auf den heutigen Tag nicht für wahr halten: Einmal die unmäßigen Zahlen und Summen, die von den Schlachten der römischen Legionen berichtet werden. Sie gehen in die Abertausende und scheinen einfach unglaubwürdig. Als wenn selbst das numerische System in der Antike relativ willkürlich gehandhabt worden wäre.
Für den großen Alpenfeldzug unter Caesar soll sich ein riesiger Lindwurm von 30.000 römischen Soldaten mit Bürgerrecht, dazu noch 30.000 verpflichtete Hilfstruppen aus besiegten Völkern sowie einem Verpflegungstross von Sklaven, Sanitätern, Köchen, Hilfsarbeitern, Maurern, Prostituierten und dergleichen über die Alpen und durch die Lande gewälzt haben. Mehr als 60.000 Mann!
Zum andern der antike Umgang mit der Sexualität. Dass es die Knabenliebe v o r der Pubertät gegeben haben soll (eher denke ich während und nach der Pubertät). Also die legitime und brutale Vergewaltigung von Kindern soll möglich gewesen sein, was es in keiner der Weltkulturen jemals gegeben hat. Auch die angebliche Ächtung der passiven Homosexualität ist mir zweifelhaft. Dagegen sprechende Quellen gibt es ebenfalls genug, auch wenn sie nicht von Foucault stammen, dessen “Forschungen” über die Bevorzugung der aktiven Homosexualität in der Antike immer wieder gerne zitiert werden.
Seltsamerweise war das Sexualverhalten in der gesamten Antike kein Thema, das diskutiert wurde, diskutiert werden durfte oder sollte. Wie vieles andere auch. Etwa Kleidung, Medizin, tägliches Leben, Klima oder niedere Erwerbstätigkeiten. Entweder war das so selbstverständlich, dass man kein Wort darüber verlauten ließ. Oder es war, was das Sexualverhalten betrifft, so tabuisiert, dass man sich später auch infolge der christlichen Überlieferung einschließlich Selbst-Zensur nicht getraut hat darüber zu berichten.
Was jedoch am wenigsten glaubwürdig ist. Zumal Gegenbeispiele bei Catull, Martial und Petronius, selbst bei Platon zu finden sind. Dieser hat sogar die Homophilie als selbstverständlich angesehen. Nicht jedoch im trivial sexistischen Sinne der Päderastie.
1 Sueton, Werke in einem Band, Aufbau-Verlag 1985; “Horaz”, S.426ff
2 a.a.O. “Augustus”, S.104ff (Nr.68)
3 Alexander Rubel, “Die Griechen – Sparta”, S.87ff, marixverlag 2011
Vgl.auch Nr.131 “Über Caesar”