269 Über Sprache
Biographisches
Wer sich in die Feinheiten einer Übersetzung meiner Feinheiten der Sprache vertiefen will, mag sich mit dem folgenden Essay von Andrew Walsh über meine Sprache und Welt auseinander setzen (im Blog die Nr.270}. Es ist ein Nachwort des Übersetzers zu meiner Ausgabe der ersten vierzehn Beiträge dieses Blogs, die nach und nach jetzt weiter ins Amerikanische, muss man wohl sagen, übersetzt und dort auch publiziert werden sollen.
Ich freue mich sehr darüber und herzlichen Dank, noch einmal, Andrew Walsh, für diese deine feinsinnige Arbeit, die in keinster Weise hinter meiner zurück steht! Davon bin ich überzeugt. Deine Sprache ist deine Welt, und sich mit meiner Sprache zu beschäftigen bedeutet auch, einer neuen und anderen, vielleicht sogar ganz fremdartigen Welt zu begegnen. Doch das ist gerade das Spannende und Reizvolle an der Arbeit von Künstlern, wie ich meine, dass sie das Fremde und Andere gerade nicht ablehnen, sondern suchen, auch Inspiration und vielleicht sogar überzeitliche Ideen darin finden mögen.
Sich selbst kann man in rationalen Angelegenheiten und mit der eigenen Rationalität nicht gänzlich verstehen, glaube ich. Wohl jedoch in emotionalen Angelegenheiten und Dingen, davon bin ich überzeugt. Denn wir sind fühlende Subjekte und keine Objekte (noch nicht), die von Fremden oder gar Maschinen gesteuert werden wollen.
Beim Lesen und Nachdenken über die Analyse von Andrew Walsh ist mir klar geworden, wie sehr sich mittlerweile doch Europa und US-Amerika angleichen. Wie wenig unterschiedlich unsere Diskurs-Regeln doch geworden sind. Ich stelle fest: Ich bin nicht nur ein Römer aus der Antike, wie ich immer wieder zu beweisen und zu dokumentieren suche. Ich bin sogar ein Euro-Amerikaner! Coca-kolonialisiert, dissipativ, viel-gläubig, neurotisch. – In der Form meiner Sprache, in dem bunten Durcheinander, was Thematik oder Stil betrifft, spiegelt sich darüber hinaus tatsächlich die gegenwärtige Desorientierung und Heterogenität unserer immer noch westlich dominierten und geprägten Welt und Kultur wider.
Dass dieses Durcheinander trotz oder gerade auch wegen seiner Suche und Sehnsucht nach Einheit, auch Geschlossenheit (und dies trotz jedem Wunsch nach einer open society) gegenwärtig immer größer wird. Wahrheit, Gerechtigkeit, Schönheit, ganz zu schweigen von den alt-ehrwürdigen Prämissen der Ethik oder Metaphysik – alle diese Ziele und Werte sind zerfallen in Heterogenitäten, oft sogar in Gleichwertigkeiten (Isosthenien). Und eben diese Konfusion wird man im Blog, vor allem in seinen formalen und stilistischen Zielsetzungen, oft finden. Ich berufe mich zwar immer wieder als Vorbild auf Montaigne, auf seine Sprache und gesellschaftliche Situation. Aber letztlich spiegelt sich doch sehr vieles von der gegenwärtigen amerikanischen und westlichen Kultur der Zerrissenheit und Ambivalenz in diesem meinem Schreiben und Denken wider.
Seiten- und Themenwechsel. Karl-Otto Apel, mein verehrter Lehrer, Philosoph und Mentor, muss ich wohl sagen, ist jetzt im Alter von 95 Jahren gestorben. Mein Denken und auch meine ganze Schreibweise, also mein Stil, finden sich sehr stark in ihm wieder. Nur die Idee der Verführung stammt weniger von ihm als von den französischen Philosophen. Beim Durchlesen der zahlreichen Nachrufe auf Apel bin ich immer wieder darauf gestoßen, wie stark er in diesem meinem Blog tatsächlich versteckt und vorhanden ist.
Sein ganzes Denken kreist wesentlich um Sprache, um das Denken des Denkens, das Denken des Allgemeinen in der Spannung zum Besonderen und Konkreten, um Wahrheit und lebenswertes Leben, wozu auch das Lieben gehört. Wie steht’s mit der sozialen Verantwortung des Einzelnen alias Liebe? Wie steht’s mit der Demokratie, dieser Verantwortung vor dem Allgemeinen und nicht nur egoistisch Individuellen? – Es geht auch um Verstehen, Verständigung versus naturwissenschaftlichem Erklären und Steuern, Manipulieren – es geht also letztlich immer um Sprachphilosophie, um Kommunikation.
Dass Apel sich dabei auch in die Höhle des Löwen gewagt hat, nämlich die Auseinandersetzung mit der angloamerikanischen Philosophy of Science gesucht hat, ist bei diesem Philosophen selbstverständlich. Heidegger und Wittgenstein waren früh seine Wegmarken, aber auch der Amerikaner Peirce und dessen Pragmatismus hat ihn immer wieder beschäftigt. Doch als ein Vertreter der neuen Frankfurter Schule (zusammen mit Jürgen Habermas) muss auch das politische Denken genannt werden, insbesondere Apels Beziehung zur Ethik: wie man ein Leben leben kann, leben soll oder leben muss.
Apel ist dergestalt viel intensiver jedoch ein Philosoph geblieben der alten Schule, was ich so sehr an ihm zu schätzen wusste. Ganz im Gegensatz zu seinem Mitstreiter und Freund Jürgen Habermas, der trotz aller sprachphilosophischen Forschungen eher Soziologe geblieben ist. Deshalb hat er auch eine fachspezifische Sprache gesprochen, der zu folgen – das bedeutet: sie mühsam genug zu erlernen – die wenigsten gerade in einem philosophischen Diskurs bereit waren und sind.
Nicht zuletzt hat Habermas, anders als Apel, vorwiegend die einseitige Auseinandersetzung mit den anglo-amerikanischen Szientisten gesucht (was ist Wissenschaft) und deren sozio- oder auch psycholinguistische Fach-Sprache übernommen, so dass er, der doch auch ein Philosoph, ein Geisteswissenschaftler hat sein wollen, leicht angreifbar wurde in dieser Welt der Technik, Zahlen und Berechnungen. Er hat den methodologischen Kampf um die Wahrheit von Wissen und Wissenschaft schließlich verloren, wie ich meine. Denn in der Wissenschaftstheorie scheint gegenwärtig nur noch der auf Zahlen und Statistiken fußende Behaviorismus und die naturwissenschaftlich orientierte Philosophy of Science tonangebend zu sein. Über Ethik nachzudenken, das ist eine Aufgabe der Theologen, Pädagogen, Politiker, aber nicht der Philosophen, behauptet diese Schule. Und bestärkt damit weiterhin den “Amexit“, den American Exit und Ausstieg Amerikas aus dem abendländischen Kultur-und WerteWeltbild. Mit all den Kollateralschäden, die gegenwärtig zu beobachten, zu betrauern und zu beklagen sind.
Zurück zu meiner neuen Übersetzung. Das gesamte Buch wird „Ûber Verführung“ heißen („On Seduction“), wobei ich aber unter Verführung weniger den Bereich der Sexualität und Erotik meine (und meist auch nur aus heuristischen Zwecken einsetze), sondern vielmehr die allgemeine Verführung von uns allen in Richtung Desorientierung im Sinne einer totalen Relativierung und Singularisierung des Denkens und seiner vielleicht im Gehirn strukturell vorgegebenen Zentral-Begriffe anspreche.
Die Auseinandersetzung um die Philosophie- und Geistesgeschichte, um Begriffe wie Wahrheit, Schönheit oder Gerechtigkeit wird von manchen dogmatisierten analytischen Philosophen und Szientisten immer noch als „Begriffsdichtung“ oder “eleganter Unsinn” (Socal) diskreditiert, ganz zu schweigen von Werken wie Hegels Rechtsphilosophie oder Heideggers immer wieder neu zu interpretierende „Phantasmagorien“ über Leben, Existenz und Zeit – „Die leeren Hände und die leeren Augen in den leeren Himmel hebend“ (Heidegger). Womit auch ein Großteil der Bevölkerung Amerikas und unserer Welt gemeint sein kann.
Doch gerade die analytische Philosophen-Schule ist mittlerweile auch Opfer ihrer selbst geworden. Sie hat sich quasi ausgelöscht aus dem Diskurs der öffentlichen Meinung und Einflussnahme. Sie ist zu sehr abgedriftet in die exklusiven Zirkel von FachSprachlichkeit und metastasierender Einzelwissenschaft und hat dabei das Ganze vollkommen aus den Augen verloren. Und das bedeutet im Sinne auch von Montaigne: Wie man leben und sterben lernen soll (philosopher c’est apprendre à vivre et apprendre à mourir). Mit und ohne Maschinen oder Mond-Besiedelung als durchaus bewundernswerte Leistungen der Naturwissenschaften. Montaignes Ziele und Fragen sind mittlerweile keine von der Soziologie, Psychologie oder Theologie beantwortbare Fragen mehr. Man hat sie dem InfoTainment und den Trumpianern und all diesen “alternativen Wahrheiten” westlicher wie östlicher Prägung überlassen.
Jeder kann mittlerweile in unserer Medienwelt und -Kultur und ganz ohne Feedback, ohne Korrektiv oder auch jenseits von jeder argumentativen DiskursRegelung (wann spreche ich wahr und mit welchen Interessen) denken und schreiben was er will, denken und verteidigen wie er will. Es explodieren wieder Bomben all überall in der Welt im Namen des einen wahren Gottes, der einen wahren Kultur, Nation, Ideologie, Gerechtigkeit oder Weisheit. Am deutschen Wesen wird die Welt genesen, sprach Kaiser Wilhelm I und zog 1914 mit seinen Mannen in die MaterialSchlacht und in den totalen Untergang. Auch mit Hilfe von Technik und Naturwissenschaft, auch mit Hilfe von Kunst und Philosophie und “Wahrheit”.
Dass ich in diesem existenziellen Diskurs ebenso und ebenso vielfältig schillernd ein Römer, ein Römer jedoch auf der Suche bin, das habe ich immer wieder betont. Umgeben von zahlreichen weltanschaulichen Schulen jedweder Art. Im politischen, im moralischen, im philosophisch- ästhetischen Sinne ebenfalls. Auch jedoch im Sinne des Wortes „Wohl-Leben“, denn die Früchte unserer Zeit möchten wir doch ebenso real auch genießen dürfen, nicht wahr. Vielleicht wie Epikur in seinem Garten der Freude und Freundschaft und nicht wie in Aristipps Welt der Lustverfallenheit, sprachlichen Verwirrung (Sophistik) und einseitigen Gier.