272 Mein Buch (Horaz 6)
An mein Buch
Du siehst mir aus, mein Buch,
als schieltest du nach Geld, Markt und Börse.
Ich merke: verkaufen willst du dich.
Du klagst, dass du dich nur so wenigen
zeigen kannst. Du magst die große Welt und wardst doch nicht dafür erzogen.
Auch dieses Schicksal wartet noch auf dich, dass du den Knaben in der Vorstadt
Lesen und Schreiben beibringst,
und auch das stammelnde Alter
wird dich treffen.
Hat dann aber einmal der milde Schein der
Abendsonne dir zahlreiche Hörer zugeführt, so wirst du von mir sprechen, dem Sohn eines
freigelassenen Sklaven aus bescheidenem Haus,
der aus der Enge des Nestes zu höherem Flug sich
aufschwang; und du darfst, was an Herkunft mir abgeht, persönlichem Verdienst mir zugute halten.
Erzähle, dass ich bei den ersten Männern Roms, im Kriege wie daheim, Anklang gefunden habe;
dass ich von kleinem Wuchs war, früh ergraut, der Sonnenwärme zugetan, rasch aufbrausend zum
Zorne, doch leicht auch wieder versöhnbar.
Trifft es sich, dass Neugierde dich ausfragt nach meinem Alter, so lass wissen: Ich hatte viermal elf Dezember in dem Jahr vollendet,
als Lollius seinem Mitkonsul Lepidus im Amt voran ging.
(Horaz Briefe I, Nr.20)
Im Rom vor der Zeitenwende gab es noch keine Jahreszahlen. Man bezeichnete die Jahre nach den im Allgemeinen jeweils zwei Jahre amtierenden Konsuln.