284 Über Krieg und Technokratie
Überall in der westlichen, d.h. auch freien Welt bilden sich gegenwärtig Isosthenien, also Patt-Situationen.
Warum? – Ich denke, seitdem das östliche Imperium weltanschaulich und ökonomisch zusammen gebrochen ist, braucht es für alle einen neuen Gegner, um die eigenen Positionen zu klären und zu festigen. Auch um eine gleich gesinnte Anhängerschaft um sich zu scharen, worin man sich quasi wie in einer geistigen Heimat wohl und zu Hause fühlen kann. In der Relativität, in der Alles-geht-Haltung zu schwimmen befriedigt auf die Dauer niemanden.
Gegensätzliche Positionen haben sich überall in der Welt mittlerweile gebildet und verfestigt. Wobei ich beiden Seiten gute Argumente und wohlmeinende Interessen oder Motivationen gerne zugestehen möchte. Denn Wahrheit kann vielfältig sein und sie betrifft nicht immer jeden. Je nach Brille und Blickwinkel sieht die Welt einmal rot, einmal schwarz oder grün gefärbt oder wie auch immer aus. Wobei der Blickwinkel von der körperlichen und geistigen Natur eines jeden einzelnen vorgegeben wird, von seiner genetischen Veranlagung, seiner Erziehung, Bildung, seinen Lebenserfahrungen etc.
Besonders offensichtlich ist die Gespaltenheit unserer Welt gegenwärtig in Großbritannien (Brexit) und in den USA mit einem gleich großen demokratischen wie konservativen Lager. Wobei sogar die beiden Zentralbegriffe „Demokraten“ und „Konservative“ wieder in Isosthenien zerfallen sind und das eine wie das andere bedeuten können. Konservative können Demokraten sein und umgekehrt. Querverbindungen und spontane Meinungsänderungen sind quasi zwangsläufig.
Man vergleiche auch die kürzlich erfolgte Abstimmung in Katalonien. Nicht nur, dass die Interpretation der Wahlergebnisse, also der Zahlen, unklar und gespalten ist. Hinzu kommen wieder einmal schwer wiegende politische Verhandlungsfehler der Mächtigen, die sich sowohl auf die Gesetzeslage einerseits wie auch auf den Volkswillen andererseits berufen können.
I
Wie geht es nun weiter in der Politik, wenn sich solche Isosthenien gebildet haben? Darf die hauchdünne Mehrheit die große „unterlegene“ Minderheit beherrschen, niederknüppeln oder gar in Gefängnisse werfen?
In der Sprachphilosophie ist das Problem bekannt. Nicht zuletzt schon seit den antiken Skeptikern, die sich gar nicht mehr festlegen wollten auf irgendwelche Wahrheiten und Positionen.
In der deutschen Sprachphilosophie, die eher linkslastig war, also ihre Ideen von Marx und Freud hergeleitet hat (Freudo-Marxismus), etwa die der Frankfurter Schule, geht man mit solchen Situationen fast schon ganz im linguistischen Sinne um. Das heißt es wird eine Dogmatik quasi wie ein Lehrbuch der sinnvollen oder auch richtig/falschen Argumentation entwickelt, an die man sich zu halten habe, wenn man in einer Kommunikations-Gemeinschaft ernst genommen werden will. Das bedeutet, dass man gehört, beachtet, anerkannt werden will als gleichwertiger Gesprächspartner. Verhandlungen auf Augenhöhe, nennen das manche Politiker. Man will also mit „guten“, „starken“ Argumenten den jeweiligen anders Denkenden bei Handlungs-Entscheidungen, denn nur darum geht es, auf seine Seite bringen, ihn überzeugen. Auch auf diesem Spezialgebiet der Sprachwissenschaft hat sich eine umfangreiche sozio- und psycho linguistische Literatur gebildet mit dem Ziel, eine sinnvolle und überzeugende ArgumentationsStruktur fest zu legen, zu definieren.
Aber auch auf der anderen, gegnerischen Seite, die sich ebenso von Wittgensteins Sprachphilosophie und dem sich daran anschließenden Logischen Positivismus beeinflussen lässt (um nur eine der philosophischen Richtungen der angel-sächsischen analytischen Philosophie zu nennen), gibt es eine rigorose Dogmatik der SprachReinheit, der SpracheEffizienz und SprachWahrheit, die sich auf formal logische, letztlich auch informationstheoretisch von Maschinen und Geräten überprüfbare Argumentationen stützen will, stützen darf, muss, kann.
Mit dem Ergebnis, dass man in beiden gegnerischen Lagern gleichwohl keinen (universitären) Schritt weiter gekommen ist. Weder konnte man überzeugte Marxisten oder auch Sozialdemokraten von der nur sekundären Wichtigkeit des sozialen Gedankens und sozialer Gerechtigkeit überzeugen noch konnten umgekehrt SprachPuristen in ihrer Einseitigkeit und Dogmatik vom logischen Konstruktivismus ihres Denkens (und Handelns) weg gebracht werden. Wahr ist nur das, was im naturwissenschaftlich-mathematischen Sinn als wahr bewiesen werden kann. Wahrheit ist mehr als nur subjektive Interpretation, behauptet diese Position. Oder, im Sinne des kapitalistischen Neo-Liberalismus gesprochen: Wahr ist das, was dem allgemeinen Wohlleben dient. Spaß und Genuss (die antike Lust) stehen mittlerweile an erster Stelle in unserem WerteKanon für den LebensSinn.
Die KonsensTheorie von Jürgen Habermas, im Grunde gegenwärtig das am meisten akzeptierte sprachphilosophische Modell unserer westlichen Debattenkultur und DemokratieVorstellung/Interpretation mitsamt ihrer umstrittenen linguistischen Unterscheidung in starke und schwache Argumente, wird jedoch nicht von jedermann akzeptiert. D.h. es gibt nicht nur im Lager der autoritären oder diktatorischen Herrscher, sondern auch unter Sprachwissenschaftlern Gegner der Konsenstheorie, die einen „billigen Kompromis“ ablehnen und nicht zuletzt sogar im Sinne einer Expertogratie und Elitenbildung bei manchen demokratisch gefundenen Entscheidungen als von einer unzumutbaren “Diktatur der Mehrheit der Dummen“ sprechen.
Aristoteles glaubte noch an die zwingende Überzeugung der formalen Logik, die er für viele Jahrhunderte, ja fast zwei Jahrtausende in LehrbuchForm festlegen konnte. Dass beispielsweise das Denken sich nicht in Widersprüche verwickeln dürfe etc. Aber auch dieser Punkt ist mittlerweile nicht mehr unumstritten. Ich habe oft genug in meinem Blog mit Bezug zum Buddhismus oder auch Taoismus darüber geschrieben. Nicht zuletzt hat auch die Gender-Thematik, welche weibliches und männliches Denken zu unterscheiden sucht und es als gleichwertig gegeneinander setzt, alte logische Grundsätze in Frage gestellt, ja ausgehöhlt.
II
Was ist nun der Archimedische Punkt, von dem das Denken, das Überzeugen, das Sprechen und Verstehen ausgehen kann?
Diese so genannte Letztbegründung, auf die alles zurückgehen und von wo jedes sinnvolle Sprechen ausgehen muss, hat Karl Otto Apel festzulegen versucht und beschrieben. Darin sogar die Zustimmung von Jean François Lyotard gefunden. In einer Kommunikationsgemeinschaft muss jeder dem anderen zu hören wollen und zu hören können, sagt der Sprachphilosoph. Man muss die Sprache sprechen und verstehen können. Man muss das Gegenüber, dessen Interessen, Absichten, Hintergründe erkennen, durchschauen lernen(Transparenz). Und man muss mit einer gewissen Offenheit, Ehrlichkeit und wohl meinenden Gutherzigkeit auch in ein KonfliktGespräch gehen. Selbst ein Widersprechen würde nur wieder Apels These beweisen, dass man sich einem, nämlich seinem (Apels) „Sprachspiel“(Wittgenstein), seiner Art von Denken und Sprechen und Argumentieren (“Sprechakt”) angeschlossen habe. Habermas nennt dies die “ideale Kommunikations-Gemeinschaft”, von welcher immer ausgegangen werden müsse, soll ein Gespräch gelingen, ein Konsens gefunden werden.
Was ich und wir im Grunde ebenfalls gerade ebenso tun: Ich versuche zu überzeugen. Ihr, meine Leser, versucht diese meine in Schriftform festgelegten Gedanken zu lesen, sie zu verstehen, zu Interpretieren, ihnen zu widersprechen, ihnen beizupflichten(1).
Also sind wir eingebunden in ein Denken und Sprechen, das zu einem Ziel kommen will, welches Verstehen und Verständigung heißt. Bildhaft ausgedrückt spuren wir zusammen und vielleicht sogar voller Widersprüche und Dissonanzen eine Spur, die wohin führt? – Das müsst ihr schon selber wissen, antworte ich. Noch nicht einmal Glück werde ich euch als Lebensziel empfehlen, weder Lust noch Askese, weder ein Leben allein oder in einer Großfamilie – wir können es nicht mehr, wir schaffen keine Verallgemeinerung mehr, was dieses Thema betrifft. Dazu ist unsere Welt zu groß, zu vielfältig geworden, die Globalisierung zu weit bereits fortgeschritten. Das ist das Problem.
Ich enthalte mich, denn ich bin kein Guru, Besserwisser oder Diktator. Ob zum Glück oder Unglück diese Spur führt, zu Konsens/Dissens, zu Himmel und Hölle, dem Blumengarten um die Ecke oder Rihms gewalttätigen Tutuguri- Explosionen, wer weiß…Aber bereit seid ihr, das Gegenüber ernst zu nehmen und ihm zuzuhören. Selbst wenn ihr es besser wisst. Und bereit seid ihr auch (hoffentlich) zu einer Änderung eurer Position. Dass ihr euch also auch überzeugen lasst.
Doch führt eine derart praktizierte Letztbegründung, dass wir alle in einer KommunikationsGemeinschaft uns befinden, aus der Falle von Nichtverstehen, Nichtverstehen-Wollen, Ablehnung und „Beratungs-Resistenz“heraus?
Ich glaube nein. Was also tun, wenn jemand gar nicht zum Sprechen, zum Dialog, zu Verhandlungen bereit ist? – Ich denke, in solchen Momenten gibt es immer wieder nur einen atavistischen Rückfall in die Gewalt, in die Macht der Gewehre. Es ist die Zeit von Totschießen und Leid. Zerstörung, Trauer und Verzweiflung gewinnen die Oberhand. Bis schließlich beide Parteien so erschöpft sind (mit und ohne „Sieg“), dass ein Ende und ein Neubeginn absehbar sind.
Solche kriegerischen Momente gibt es immer wieder, und scheinbar sind sie auch nicht ausrottbar. Die Verkrüppelung von Denken und Sprechen führt notwendig auf direktem Weg zur Verkrüppelung des Menschen und schließlich zu seiner Zerstörung – sowohl beim Sieger wie bei den Besiegten.
Was für ein Sieg wird gegenwärtig in Syrien, im Irak, überall in der kriegerischen Welt gefeiert?! – Ja, ein Neuanfang steht bevor. Aber welche Kollateralschäden hat es gegeben, wird es weiterhin geben?
Manchmal glaube ich sogar resignierend, dass eine Population im Sinne von Selbstzerstörung oder kollektivem Suizid einen solchen Zusammenbruch braucht, um wieder neu beginnen zu können. Nichts geht mehr – wie in einem kranken Körper, der in einem Heilungsprozess alle Kräfte noch einmal sammelt oder untergehen muss. Vielleicht sogar untergehen will; siehe Freuds Todestrieb-Theorie oder sogar die Diskussionen um ein Todes/Alterungshormon im menschlichen Körper.
III
Für Heraklit, den großen Pessimisten unter den antiken Schulgründern, war der Krieg der Vater aller Dinge. Gegensätze bestimmen Welt und Wirklichkeit. Ihr Zusammenstoß bewirkt Werden, Entwicklung, Fortschritt. Es bedeutet auch permanente Veränderung und permanente Dynamik in der Welt. Pessimistisch war er eher wegen dem eschatologischen Glauben an ein Ende der Welt – der große Weltenbrand wird irgendwann einmal allem ein Ende bereiten. Krieg gibt es aber nicht nur im Denken und in der Logik. Er existiert im sozialen Bereich ebenso – als Krieg der Menschen, der Populationen, der Staaten gegeneinander. Marx fügte hinzu: der Klassen, der Kapitalisten gegen die Arbeiter etc.
Antithetisch dazu haben sich mittlerweile auch Versuche entwickelt, eben solche Kriege im Kleinen wie im Großen zu verhindern. Es gibt Friedensforschung und Konfliktmanagement. Wie man aggressive Auseinandersetzungen vermeiden kann selbst in den Paarbeziehungen.
Es gab aber auch schon in der Renaissance Vorschläge und Theorien zum Machterhalt des Fürsten (Machiavelli). Wie man Menschen und Gruppen erfolgreich unterdrückt, sie sich gefügig macht, sie ausnūtzt, sie beherrscht. Machterhalt und der Wille zur Macht wird geradezu als eine Notwendigkeit gesehen und verherrlicht. Nicht zuletzt unter dem Einfluss von Nietzsche ist sich jeder selbst der nächste. Im Sozialdarwinismus darf jeder des anderen Wolf sein und nur der Stärkere überlebt.
Dabei geht es nicht nur um atavistisch-kindliche Machtspiele oder Interessen-Gegensätze: Ich will dieses Ölfeld besitzen; nein ich will dieses Ölfeld besitzen! Denn um das Ziel durchzusetzen, das Ölfeld zu besitzen, kommen letztlich auch abstrakte Werte als Worte mit ins Spiel, über die man sich verständigen muss, die zu allererst einmal das Gegenüber verstehen, damit einverstanden sein muss. Damit einverstanden, das bedeutet: den Sinn verstanden haben muss auch gerade ohne eine Zustimmung.
Die Vorbedingung eines Konfliktes ist also oft ein voraus gehendes Nicht-Verstehen; auch ein Nicht-verstehen-Wollen. Die Militärwissenschaft, auch das gibt es tatsächlich, spricht und definiert hingegen nur lapidar-oberflächlich von einem Interessenkonflikt, einem Machtkonflikt, einem Zielkonflikt, einer persönlichen Rivalität und so weiter.
Doch ich denke, dass allem ein Verstehenskonflikt vorausgeht, der ein Nicht-verstehen-Können oder Nicht-verstehen-Wollen von Sprache voraussetzt. Mit Sprache, also im Dialog, am besten sogar Auge in Auge, lassen sich Missverständnis und Unverständnis oft verhindern und beseitigen (1).
Wie jedoch diese Sprache des Gegenüber verstehen lernen in einem solchen Konfliktfall? – Wie sich öffnen für das Gegenüber, dass dessen Sprache und auch meine Sprache kompatibel, verstanden werden können? Selbst wenn wir die gleiche Landessprache mit gleichem Vokabular sprechen und dennoch uns nicht verstehen?
Das ist nicht zuletzt – auch Psychologie hat damit zu tun – die ehrenwerte Aufgabe der Hermeneutik. Vielleicht sogar verbunden mit einer Psycho-Hermeneutik im Sinne Freuds oder anderer psychologischer Schulen. Eine oft vergessene Wissenschaft und Lehre, die es schon seit der Antike gibt, über die gleichwohl bis heute nur wenig gesprochen, die nur selten gelehrt wird.
Wenn meine Beobachtung stimmt, dass wir meist, wenn nicht sogar immer Fremde unter- und miteinander sind, so fremd wie die unterschiedlichen Tier- und Pflanzenarten in ihren Art-Gruppen, so denke ich, dass gerade deshalb und dennoch eine allgemeine Sprache gefunden werden muss, mit der wir uns verständigen können. Wie es im internationalen Bereich bald eine Weltsprache geben wird, nämlich Englisch, so muss es auch im geistigen Bereich eine allgemeine Sprache geben, die jenseits von Fachsprachen (etwa der Linguistik, Soziologie, Informatik etc.) verstanden wird, allgemein verständlich bleibt. Diese Sprache zu finden und zu unterrichten wäre die Aufgabe einer universalen Hermeneutik, wie sie Hans-Georg Gadamer in seinem weiterhin gültigen Werk “Wahrheit und Methode” dargelegt hat.(2)
Eine solch allgemeine Sprache ist einmal und wesentlich die Sprache der Gefühle, die der Gesten. Das Lachen, das Lächeln und Weinen ist in allen Kulturen ähnlich, wenn auch nicht gleich. Die Intensität des Gefühlsausdrucks und der Gefühlswahrnehmungen sind sehr unterschiedlich, unterschiedlich sogar in einer einzigen Kultur unter den Menschen. Ich denke, dass die Fähigkeit zum Fühlen, vor allen Dingen auch zum Worte finden für diese Gefühle, eine große kulturelle und kreative Leistung ist, die NichtVerstehen und Missverständnisse verhindern kann. Es muss aber dennoch und ganz jenseits von einer Verbalisierung der Gefühle auch noch darüber hinaus eine rationale Sprache gefunden werden, mit der wir uns über die wichtigsten Werte, wie ein Leben gelebt werden soll, austauschen und verständigen können.
Ich denke, diese allgemeine Sprache sollte immer noch und immer wieder die alte philosophische Sprache sein, wie sie in der griechischen und römischen Antike begründet worden ist. Das heißt auch gefunden worden ist. Diese Sprache wurde zwar wie alle Sprachen überhaupt übersetzt und immer wieder weiter entwickelt durch Fachbegriffe, durch Neuerfindungen, die neue Worte einbringen in den Diskurs. Aber dennoch hat sich die philosophische Sprache vor allem im Kanon der Philosophie-Geschichte bis heute gehalten. Und dies auch ganz jenseits jeder philosophischen Fachsprache, etwa einer sprachphilosophisch orientierten Wissenschaftstheorie und dgl. Auch die Wissenschaftstheorie neigt mit ihrer oft linguistischen Fachsprache zur Hermetik und damit zum Solipsismus – sie extrapoliert sich gleichsam aus der Kommunikations-Gemeinschaft selbst heraus und verliert damit jegliche Bedeutung oder auch Wirksamkeit.
Auch ich bewege mich jetzt mit dieser meiner Sprache in der allgemeinen Sprache, wie ich glaube. Zwar mit einigen Abweichungen und Hinzufügungen aus meiner philosophischen Herkunft und Schule, aus der ich stamme (alte und neue Frankfurter Schule, Soziologie, Psychoanalyse, die französischen Philosophen). Aber dennoch glaube ich, dass jeder einigermaßen in der Philosophie-Geschichte gebildete, d.h. auch ausgebildete, mit Lernerfahrung aufgewachsene Mensch diese Sprache der Philosophie der Vergangenheit gelernt hat, sie verstehen und sprechen kann. Dass also jeder dieser Menschen auch meine Sprache relativ leicht verstehen und sich am Sic et non-Gespräch unseres Diskurses beteiligen kann.
Der einzige Manierismus, den ich mir weniger im semantischen Sinne als eher stilistisch erlaube, ist eine Eigenart des Satzbaus: Dass meine Sätze im Sinne auch von Satz-Konstruktionen nicht zu kurz geraten, sondern dass ich Satzkonstruktionen mit vielen Nebensätzen baue, weil ich diese ästhetisch ansprechend finde. Sie machen eine Sprache lebendiger, das heißt auch musikalischer. Das ist eine rein emotionale und deshalb zwangsläufig wohl auch irrationale Entscheidung, an die sich der Leser aber, so hoffe ich, doch leicht gewöhnen wird, wenn er sich hinein vertieft hat in diese meine Sprache und ihren Stil. Außerdem ist eine solche Sprache mühsam. Aber nur das stockende Wieder-lesen-Müssen ist m. E. effektiv. Ich habe schon öfter darüber geschrieben.
Doch was tun, wenn bei Auseinandersetzungen und im Konfliktfall eine Sprache jemand nicht zu lernen bereit sein wird? Wenn man diese Sprache nicht sprechen, nicht verstehen will? Wenn alles vergiftet ist durch Lügen, Scheinwahrheiten, Verkürzungen und Fälschungen? – Ich denke, dann ist alles verloren, selbst wenn es immer wieder auch Vermittler, Übersetzer und Dolmetscher geben wird. D.h. Unverständnis und Sprachlosigkeit nehmen überhand und wir sind in einem Zustand der babylonischen Verwirrung und Ratlosigkeit, die unsere so wohl gebauten hohen Türme von Wissenschaft, Wohlleben, Luxus und Vergnügen ganz bald einstürzen lassen werden.
Interessen-Kollisionen bis hin zu Krieg und Bürgerkrieg sind die notwendige Folge.
IV
Was dagegen tun?
Ich denke, resignierend und in die Zukunft der technischen Möglichkeiten blickend, dass in diesem Fall nur die fragwürdige Dichotomie im apokalyptischen Sinne a)eines vollkommenen Untergangs und einer weltweiten Katastrophe oder b)steuerungspolitisch gesehen einer Technokratie die Lösung sein kann. Die ganz bewusste Manipulation (Verführung) der Menschen-Massen auf ein Ziel hin, das einige wenige Auserwählte, Experten, “Eliten“, welche die Macht besitzen, bedingungslos ausnützen dürfen, ausnützen müssen, soll nicht alles in einer weltumspannenden Katastrophe enden. Denn dass wir mittlerweile auf dem Weg in diese Zukunft sind, auch von den technischen Möglichkeiten her gesehen, das wird tagtäglich in den Massenmedien dokumentiert und ist dort zu beobachten.
Damit bin ich weit weg gerückt von meinen immer wieder deutlich beschriebenen Vorbehalten den Visionen und Utopien B.F. Skinners gegenüber. Seine provokativ vorgetragene Prämisse, „jenseits von Freiheit und Menschenwürde“ sei nur ein Leben lebenswert, nur dort solle man sein Nest zu finden suchen, scheint mir mittlerweile durchaus bedenkenswert. Denn die Alternative zu einer vielleicht sogar eher “sanften” und philanthropisch ausgerichteten SozialTechnokratie, welche eine umfassende Aggressionsfreiheit anstrebt, scheint zum gegenwärtigen Wissensstand nur immer wieder Krieg und Bürgerkrieg zu sein. Ein Bürgerkrieg nicht mehr nur der Bürger, der unterschiedlichen Menschengruppen, der Interessen, die räumlich relativ eingegrenzt und begrenzt sein mögen, sondern ein BürgerKrieg der Weltkulturen, die sich unversöhnlich mit hochtechnologischen “Errungenschaften” gegenüber stehen und mit heftiger Gewalt sich gegenseitig auszurotten versuchen.
Freiheit und Menschenwürde sind nach Skinner, dem Begründer der Verhaltens-Wissenschaft und -Steuerung, veraltete Begriffe. Sich mit rein technischen Mitteln zu Wohlleben und Glück verführen zu lassen, also gesteuert zu werden wie ein Ding, wie ein Tier, das mag vielleicht tatsächlich noch die einzige Möglichkeit sein, die permanente Kriegs- und Untergangsgefahr einzugrenzen. Auch wenn wir dabei unser Wohl und Wehe in die Hände einer kleinen, machtvollen Gruppe mit Herrschafts- und Steuerungswissen zu legen bereit sein müssen, die uns beherrschen wird wie früher die Römer ihre Sklaven.
Damit ist auch der uralte Menschheits-Traum von Freiheit, Humanität und Befreiung (Emanzipation) zu Grabe getragen. Doch wir sind schon mitten drin in dieser Entwicklung: Andersdenkende Kulturen, etwa in China, bereiten bereits eine großflächige Konditionierung der Bevölkerung hin zu mehr „Tugend“, zu mehr angepasstem politischen Wohl-Verhalten mittels Internet, Steuerungstechnologie und künstlicher Intelligenz vor. Und was läuft gegenwärtig in den USA? Im Land der permanent flimmernden Bildschirme, von “Infotainment” als Politik, der heterogenen Massenkulturen und Ethnien, der TwitterKommunikation, Facebook-Society und fanatisierten Religionsgruppen? Quo vadis, America?
Was bis vor kurzem, vor allem unter Marxisten, aber auch Christen noch als eine Horror-Vision gegolten hat, scheint jetzt tatsächlich mit Hilfe der neuen Steuerungs- und Überwachungs-Technologien glückliche Realität werden zu wollen.
Eben als Technokratie der Sozial-Ingenieure.
1 Dass es schon bei Platon Überlegungen gegen die Schrift und nur für das mündliche Gespräch Auge in Auge gibt, ist im „Phaidros“ nachzulesen. Vgl. im Blog die Nr.247 “Uber Sprache und Schrift”
2 Hans-Georg Gadamer, “Wahrheit und Methode”(1960)
3 B.F.Skinner, “Jenseits von Freiheit und Menschenwürde”(1982) – eine deutliche Kritik an allen wohlmeinenden Emanzipationsbemühungen von der Aufklärung bis zum Marxismus
B.F.Skinner, “Walden II”(1948/1969) – eine aus der Sicht des Behaviorismus geschriebene utopische Vision einer aggressionsfreien Gesellschaft, die direkten Bezug nimmt auf Thoreaus einflussreiche Vor-Hippie-Bibel von 1854 „Walden – Leben in den Wäldern“.
Vgl. auch die Nr.36 im Blog (“Die Stahlstadt”)