289 Wieder gelesen: Die Maske
Nach dem langen und tiefen Blick in die Antike (habt ihr euch wieder gefunden?) und dem Vorabdruck-Start meines neuen Rihmbuches (demnächst) hier und heute zur Entspannung und Ablenkung (Ablenkung?) wieder ein Ausflug in die schöne Literatur. Nicht in die Poesie, welche per Twitter(!) demnächst folgen wird, sondern in die Essayistik (Essayistik?) oder auch nur in einen literarischen und ironisch überzeichneten Text von früher (überzeichnet? Seufz, immer diese schwierige Wortfindung; heute und in dieser Hitze, es ist nicht mein Tag).
Ich habe darüber geschrieben, dass ich von Baudrillards Stil besonders im dritten Band (Musikbuch) meiner von Koryphäen wie Heinz Schlaffer, Wolfgang Harig oder Werner Grimmel* durchaus akklamierten Ästhetik (Wortwahl!) sehr beeinflusst worden bin. Ich zitiere hier aus dem Kapitel 2 „Discomusik“ die Abhandlung über die Maske (S.53 ff). Im Blog ist es die Nr.47. Tänzer, die mit der Sinnlosigkeit spielen, sind immer (nur) Masken-Träger. Wie Du und ich (wer ist Du? Warum groß geschrieben? Meint der Schreiber eine bestimmte Person, mit der er sich immer in der Disco trifft?)
Über die Maske
Wenn wir über die Maske nachdenken, stehen wir plötzlich vor einem großen Dilemma: Wir können nicht mehr die Subjekt-Objekt-Trennung aufrecht halten. Wir können nicht mehr unterscheiden, ob nicht die Maske selber uns missbraucht, ausnützt für eigensinnige und undurchsichtige Zwecke. Ob sie nicht bereits uns ihren Willen aufgezwungen hat, ob wir uns nicht bereits nach ihrem Willen bewegen, verhalten, sprechen, Worte wie Tanzschritte setzen müssen, auch Texte wie eben diesen konstruieren (der reine Ästhetizismus); ob wir also überhaupt noch Subjekt beim Auswählen wie Tragen der Maske sind.
Anders ausgedrückt: Ob wir nicht unseren Stil, über den wir uns so sorgfältige Gedanken machen, den wir pflegen, auch zelebrieren wie in einem Gottesdienst – nur Gott selber weiß, dass wir bereits zur Gottheit geworden sind, immer nur wir, unser Körper, die Augen, das Gesicht, die schöne Gestalt, von den unteren Körperteilen ganz zu schweigen – , ob wir nicht diesen Stil zu inszenieren gezwungen sind wie ein gelungenes Theaterstück, wenn wir entsprechende Vorbilder in den Medien, den Zeitschriften oder Musik-Videos gefunden haben.
Kritiker behaupten, die Maske und das stilisierte Leben allgemein verberge uns voreinander. Das Umgekehrte scheint mir zutreffender. Die Maske bringt uns näher, macht uns gleich durch die Verkleidung, durch neue Werte der Lebensgestaltung, welche sie uns anbietet: Schönheit, Sinnlichkeit, Kontrolle, Disziplin, eine gewisse faszinierende Steifheit und Würde dann und wann, nicht zuletzt auch neue Formen von rationalem Handeln und pragmatischer Zielorientierung.
Sie bewirkt, dass wir uns gerade durch das Versteckspiel und die Methode, uns selbst und unser Leben, welches doch so voller Angst und Sorge ist, als Kunstwerk zu definieren, näher kommen und unsere geheimen Wünsche und Kümmernisse auf neue Art offen legen. Dazu muss man klug und gebildet sein, nicht wahr, und die neuen Zeichen der Zeit auch zu deuten wissen, damit wir auf diese Art nicht zuletzt – sagt Freud – auch Wünsche erfahren, die bis in den Bereich von Sexualität und Unterwelt gehen mögen.
Offenbare deinen Stil – nicht die ökonomischen Gesetze oder Strukturmerkmale deines Stils, sie interessieren uns weniger als das Ergebnis! – und ich sage dir, wer du bist. Du stilisierst dich, also bist du:
s t i l i s o , e r g o s u m .
* Bei Amazon die Kommentarspalten zum Buch anklicken und die dort vom FAZ-Autor Werner Grimmel geschriebene tief schürfende Rezension meines Buches nachlesen. Wer das Buch wegen des Preises nicht kaufen will (es liegt als Hardcover- Band sehr schön in der Hand) – in den Hochschul – und Universitäts-Bibliotheken ist es auch zu finden. Geschrieben meist im Stil der Franzosen. Manchmal übermütig, manchmal unheilschwanger. Der Beginn ist sehr hermetisch. Nicht abschrecken lassen! Dafür ist der Schluss, wenn wir auf der Tanzfläche mit der Sinnlosigkeit spielen wollen, zumindest im Satzbau spielerisch leicht.
Auch mein bewährt – provokatives Spiel mit Reizworten wird eingesetzt, etwa das bekannte Derrida-Zitat aus seinem „Apokalypse“-Buch vom „Zurückziehen der Vorhaut der Eichel“ (das wäre für das Hymen der Frau die Apokalypse, sinnbildlich gesprochen) wird aus heuristischen Gründen immer wieder von mir verwendet. Bei den Vorträgen fast schon ein von Wissenden erwarteter LieblingsTrick von mir, die Leute bei der Stange zu halten (Freudianisch gesprochen) und am Einschlafen zu hindern. Denn wer ein richtiger Intellektueller sein will mit allem, was dazu gehört…Ich brauch das nicht weiter auszuführen, nicht wahr.
Reinhold Urmetzer, Ästhetik Band 3 / Musikbuch – ISBN 978 – 3- 8391- 9496 – 6
* Werner Grimmel hat eine sehr schöne und ausführliche Rezension geschrieben. Zu finden und zu lesen im Verkaufsprospekt der Ästhetik Bd.3 “Musikbuch” bei Amazon.