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ANTWORT
Ob ich in dieser römischen Gesellschaft, die ich im letzten Blog-Beitrag beschrieben habe, hätte leben wollen?
Definitiv nein.
Die Bäderkultur, das körperliche und geistige Wohlleben im Sinne Epikurs, die internationale und kosmoplitische Weltkultur, die Zweisprachigkeit (man musste Griechisch und Latein sprechen können), selbst der Polytheismus mit seinen geheimnisvollen Mysterien und Kulthandlungen beeindrucken mich zwar sehr und einiges davon ist auch heute noch nachahmenswert.
Andererseits war die Stadt voller Lärm, Gewalt und Dreck, auch wenn der Latrinenbetrieb sowie das Zu-und Abwassersystem sehr gut geregelt waren. Doch die alltägliche Gewalt nicht nur auf den Straßen, sondern selbst im Zirkus und Theater-Unterhaltungsprogramm der Bürger war übermächtig. Auch das autoritäre politische System und die imperialistische Eroberungspolitik hätten nicht meine Zustimmung gefunden. Außerdem wäre ich wohl eher als griechischer Sklave nach Rom gekommen denn als ein Mitglied der reichen Aristokratie. Mit allen Konsequenzen, wenn man nicht wie Tiro einen Patron mit Namen Cicero hatte.
Warum ich mich dann mit dieser Welt und Gesellschaft beschäftige?
Weil sie in Vielem m. E. dieser unserer und meiner Gegenwart gleicht. Weil Fragen gestellt und Antworten gegeben wurden, die auch heute noch gültig sind. Hier ein großer Luxus, eine unverantwortliche Verschwendung von Ressourcen und Fähigkeiten. Dort das Sklavendasein der Kriegsgefangenen und der Unterschicht, die der Willkür ihrer Herren gnadenlos ausgeliefert waren. Hier Kriege und Wunden, klagt der Geschichtsschreiber Tacitus im 1. Jahrhundert, dort Bäder und Restaurants.
Außerdem findet sich die weltanschauliche Orientierungslosigkeit, die allgemeine Konfusion, was das Denken und die Vorstellungen von Glück, Wahrheit, Weisheit oder Liebe betrifft, genauso auch in unserer Gegenwart. Auch das extreme Ausgeliefertsein an ökonomistisches Denken und materielle Zwänge oder die Verfallenheit an Spaß, Lust, Vergnügen und Ablenkung wiederholen sich.
Das Thema Liebe und Sexualität sollte in diesem Kontext neu durchdacht werden. Liebe nicht im Sinne der christlichen Caritas, Fürsorge – dies wird m.E. als ein Muss in allen Gesellschaftsformen der Zukunft existent bleiben. Sondern Liebe im Zeichen der Geschlechter-Differenz. Was heißt Mann, was heißt Frau? Oder auch taoistisch gesprochen: wieviel Mann, wieviel Frau bin ich, darf ich sein? Als Soldat, als Mutter?
Was bedeutet die Differenz der Geschlechter genau? Gibt es diese überhaupt? – Ich bin davon überzeugt. Selbst wenn es nur noch Roboter und gezüchtete oder geklonte Wesen um uns herum geben wird. Mann und Frau und ein Mittelding dazwischen werden vielleicht als Modell überleben.
Das antike Sexualverhalten war ebenfalls ein ganz anderes als heute. Nicht so festgelegt auf Trennung und dogmatische Fixierung in Schwarz oder Weiß, sondern es war eine Pan-Sexualität im Sinne Freuds. Sexualität war meist eine sehr eigensüchtige egoistische Angelegenheit der Männer im Sinne nur von Lust- haben-Wollen und, vielleicht, dem Kinder-Zeugen. Die Frauen der römischen Oberschicht waren sehr emanzipiert und abgesichert. Aber alle anderen Frauen waren meist reine Gebärmaschinen oder Lustobjekte. Und das bis auf den heutigen Tag.
Ich will nicht sagen, dass ich die allgemeine sexuelle Situation und ihre wechselhafte Verworrenheit, abhängig vom jeweiligen Herrscher und seiner Zeit, gut finde oder vorbildlich. Aber nachdenken sollten wir darüber, wie wir mit der Zwangsheterosexualität und der Zwangshomosexualität, wie wir überhaupt mit dem Thema Lust/ Entfremdung/Tier (meist positiv gedacht als ein Zeichen der freien und lebendigen Natur versus Maschine) und Menschsein im geistigen Sinne umgehen sollen und umgehen werden. Das heißt die Frage der humanitas muss auch wieder aufgegriffen werden: Wann ist ein Mensch ein Mensch? Was heißt menschlich sein, menschlich kommunizieren, als Mensch überleben? Wieviel Tier soll, muss, darf es sein angesichts unserer Maschinen-Helfer und Roboter-Freunde um die Ecke?
Auch das Woher, das Wohin, Wofür muss weiterhin untersucht werden. Diese Fragen werden in unserem glücklichen und alltäglichen Delirium von Wohlstand, Zerstreuung oder Lust permanent verdrängt. Auch weil sie vielleicht nicht beantwortet werden können und dennoch diskutiert werden müssen. Sie werden von manchen Richtungen und weltanschaulichen Gruppen sogar bereits als sinnlose oder unzulässige, ja sogar kranke und pathologische Fragestellungen abgelehnt.
Wie sprechen, um sich zu verstehen, um einen gemeinsamen Weg in die Planung der Zukunft zu finden, mit welchen Worten, Fragen und Sätzen sollen solche alten und überzeitlichen Probleme erörtert werden? Was ist Wahrheit und Gerechtigkeit? Welchem Gott opfere ich auf welchem Altar? – Dort im Büro, auf der Börse, in der Peepshow, als Mutter, Politiker, Sexist, Kegelbruder, Soldat? – Alles dies waren auch Themen der antiken Kultur und die philosophischen Schulen haben Antworten darauf gegeben, die allesamt heute noch diskutabel sind. Selbst die extremen Vorstellungen und Positionen der Kyniker.
Die hundert Jahre alten Wegweisungen des Marxismus oder mancher zeitloser Religionen haben sich für viele Menschen gegenwärtig als unfruchtbar heraus gestellt, vielleicht sogar als politisch unmenschlich.
Doch was nun?
Reichen uns die vollen Eisschränke, alle diese jederzeit zu Spaß, Freude oder Sex bereiten Wesen, alle diese spannenden Abenteuer- Versprechungen der Computer- und Filmindustrie, diese schönen romantischen Nächte und Verliebungen in göttliche Prinzen und göttliche Prinzessinnen?
Gerade jetzt diskutiere ich wieder mit meiner Frau eine solch göttlich-romantische Verbindung, die wir neu kennen gelernt haben. Und wir machen uns Gedanken über all die göttlichen Kinder, die in einer solchen Verbindung entstehen werden müssen. Und glücklich sein wollen wie jetzt und morgen und dazumal.(Seufz)