306 Vom Küssen (Popmusik 17)
Kiss me like you want me
Mit diesen in unregelmäßiger Reihenfolge erscheinenden Rezensionen aus dem Bereich der Popmusik will ich etwas wieder gut machen, nachholen und auch Abbitte leisten. Als junger Musik-Kritiker der Berliner taz und der Stuttgarter Zeitung hatte ich mein Augenmerk eher auf Musik und Musikdarbietung als auf den Text gelegt. Mittlerweile habe ich jedoch erkannt – auch mit Hilfe von Mitlese-Apps wie Shazam etc. – dass gerade die Texte der britischen Bands durchweg anspruchsvoll, oft sehr ambitioniert und fast immer mit literarischem Niveau waren. Es soll deshalb mehr um die Texte und ihre Botschaft aus der weiten Welt der Popkultur gehen als um die Musik. Diese Welt ist heute im Bereich der Kulturindustrie (Achtung, ein negativer Begriff!) sehr einflussreich und wichtig geworden, was Mode, Lebenssinn und Lebensbewältigung angeht. Gelegentlich habe ich auch auf meine Artikel von früher zurückgegriffen.
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Das ist schon eine sehr seltsam postmoderne und eigenwillige Formulierung, die sich der deutsch-irische PopMusiker Rea Garvey oder seine Ghost-Writer in diesem Liebeslied ausgesucht haben. Ein Wörtchen, zwei Buchstaben nur stören das leichte Verstehen, die syntaktisch lapidare Aufforderung und verändern den Satz doch inhaltlich vollkommen: das Wörtchen „me“.
Was mag das wohl bedeuten, wenn man jemanden küssen soll, wie man ihn haben will? Ist denn beim Küssen die Variationsmöglichkeit so groß? – Küss mich, küss mich bitte, küss mich wie wann wo du willst, kiss me all over – einverstanden, machen wir, bekannt. Aber küssen, wie man jemanden haben will? Nimm mich wie ich bin? Oder nimm mich, wie du mich haben willst? – Als könnte man jemanden modellieren wie Pygmalion seine Galatea?
Wenn dann auch noch zerknirscht festgestellt wird, dass das zu küssende Gegenüber am Ende ist, so am Ende, dass es nicht mal sein eigenes Grab schaufeln kann, so am Ende wohl auch mit dem Liebesleben in dem Sinne, wie der Sänger diese Angelegenheit versteht – dann scheint sich trotz aller Beteuerungen von Verfallenheit und Begehren (Liebe bis zum Umfallen, Verlust-Angst) tatsächlich alles nur noch in einer virtuellen künstlichen Welt der Fantasie und Verwirrung abzuspielen(„Postmoderne“).
Da hören wir immer wieder seltsam konfuse Botschaften über Liebe und Lust von quasi geistlosen, gesteuerten und abhängigen Objekten, die, um im Pygmalion-Mythos zu bleiben, trotz aller Verliebtheit zu leblosen Steinen der Kulturindustrie geworden sind. Oder sind sie nur noch verglühende Sterne?
Selbst die einfachsten Spielregeln des menschlichen Zusammenlebens scheinen nicht mehr zu funktionieren. Da steckt das narzisstische Ego eines Macho-Man dahinter, werden manche Frauen vorschnell schimpfen. Er will alles und sofort. Macht, Ohnmacht, Schwäche und Stärke zu zeigen – nimm mich, wie du es willst – ist die verführerische Falle männlicher Omnipotenz, in die zu tappen frau, manchmal auch mann gezwungen sein wird. Selbst die, das sind seine (männlichen) Spielregeln helfen da nicht weiter.
Sie winkt ihm zu, lässt sich von seinem brünstigen Locken noch einmal verführen, startet mit Winken, ja doch, komm, komm tanzen wir im Schuppen am Strand. Versöhnen wir uns vielleicht auch wieder trotz all dem, was früher war. Es gibt manchmal auch Versöhnung, Wieder-Heiraten, Zusammen-Bleiben trotz allem.
Doch können verglühende Kometen noch einmal aufleuchten mit einem solchen Denken, einer solchen Sprache?
Gerade jetzt, in dieser Weihnachtszeit?
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Küss mich
Steh auf einer Sand-Düne warte auf den Regen hab nicht genug Kraft mein eigenes Grab zu schaufeln fang an zu beten und geh in die Knie doch du hebst die Hände winkst mir zu
Folge dir durch den Haupteingang bis auf die Tanzfläche dich zu verlieren ist wie den Tod zu küssen dein Lächeln sehn und atemlos werden ich stecke die Münzen in den Apparat
Küss mich wie du mich haben willst zeig mir dein Interesse halt mich in der Hoffnung dass ich da bleibe sag es mir mit einem Wispern schau mir in die Augen verliebt sein bis zum Umfallen
Hab keine Angst wegen früher halt die Zeit an alles vergeht so schnell es ist hart nicht wie du zu sein wir brauchen nicht lügen freunde dich nur mit der Wahrheit an
Es macht keinen Unterschied wenn ich es vorher gewusst hätte früher war alles anders sagst du alles lässig alles cool alles ist getan wenn wir uns an die Regeln halten
Küss mich, wie du mich haben willst zeig mir dein Interesse halt mich in der Hoffnung dass ich da bleibe sag es mir mit einem Wispern schau mir in die Augen verliebt sein bis zum Umfallen
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Nachtrag aus einer Pressemitteilung von WDR 2:
„Kiss Me” ist ein Song über wahre Liebe und wie diese auch nach Jahren funktionieren kann. “Es ist immer leichter, sich selbst zu loben als kritisch zu betrachten. Ich habe versucht, mich und meine Beziehung aus dem Blickwinkel meiner Frau zu sehen; mich zu fragen, wie ich mich aus ihrer Perspektive wahrnehmen würde. Es ist wahre Liebe, die ich in diesem Song beschreibe. Und damit es wahre Liebe bleibt, braucht es in erster Linie Ehrlichkeit und Echtheit”, so Rea über “Kiss Me”.
Rea Garvey, Kiss me (YouTube Lyrics)