326 Über Isosthenie (5)
Nachtrag zum Blasen-Aufsatz III
Thema Logik: Auch zu der Isosthenie (Gleichwertigkeit) gibt es eine gegenläufige Isosthenie. D.h. von Fall zu Fall gelten auch Isosthenien nicht. Eine unbedingte Wahrheit tritt ins Spiel, an der nicht gezweifelt werden kann (Selbstaufhebung). Diese unbedingte Wahrheit ist zum Beispiel der Tod. Mit dem Tod endet das Subjekt samt all seiner geistigen Isosthenien. Alles ist jetzt eindeutig und klar, auch wenn wir entgegen anders lautenden Erzählungen in keinster Weise wissen, was auf uns zukommt.
Gleiches gilt für das Grundproblem der Skepsis: Sie kann sich selbst aufheben und auslöschen. Wenn Skepsis sich selbst skeptisch in Frage stellt, hebt sie sich auf und eine neue Wahrheit kommt ins Spiel, die gleichwohl auch wieder Isosthenien hervorbringt und zu einer wieder nur temporären Wahrheit gelangen kann, die gerade nicht skeptisch hinterfragt wird.
D.h. alles gilt selbst im System von Logik und Wahrheit nur immer wieder von Fall zu Fall: Es gibt Fälle, wo Widersprüche akzeptiert werden müssen, und Fälle, in denen sie nicht akzeptiert werden können. Wie schön und glücklich machend kann Liebe oder auch nur unglückliches Verlieben sein! Selbst wenn die Wahrheit der Vernunft sagt: lass es, alles hat keinen Sinn und Zweck. Es gibt widersprüchliche Wahrheiten der Vernunft und des Herzens. Das hat schon der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal im 17. Jahrhundert entdeckt: Das Herz verstehet eine Sprache, die die Vernunft nicht kennt.
Die Suche nach widerspruchsloser (d.i.absoluter) Wahrheit ist ein lebenslanges und ewiges Ziel der Menschheit. Platon hat den Weg gezeigt, indem er gesagt hat: Ideen (Abstraktionen) wie Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit sind trotz aller Möglichkeit zur Bildung von Isosthenien (er nennt dies Dialektik des Begriffs) überzeitlich und sie können nicht angezweifelt werden.
Als abstrakte (metaphysische) Begriffe sind sie leer und mehrdeutig, also Wort-Hülsen, füge ich hinzu. Sie zwingen uns zur Interpretation, d.h. zur Auseinandersetzung um diesen Begriff, um die Wahrheit dieses Begriffes, dieser gedanklichen Krücke in immer wieder wechselnden Epochen.
Ist Freiheit das, was die Liberalen, Marxisten, Kapitalisten, die Ôkonomisten oder Traditionalisten definieren oder uns einreden, wenn nicht sogar vorschreiben wollen? Ist China gegenwärtig, war die DDR früher ein Staat der Freiheit? – Ja, hat Nietzsches Wille zur Macht geantwortet und dabei zynisch gelächelt.
All das bedeutet und war/ist Streiten im positiven(?) Sinne Lyotards. Begegnung und Austausch, Impulse, Auseinandersetzung, Konsens, Widerspruch etc. halten das Leben samt seiner Lebensspuren offen: bunt und vielfältig, weiter gehend, Neues suchend und findend, manchmal sehr authentisch und emotional. Und gelegentlich sogar, wenn Weisheit mit ins Spiel kommt, vernünftig. Doch ebenso oft trifft auch das Gegenteil zu: unvernünftig bis hin zum Massenmord und zum Untergang ganzer Städte, Landschaften und Völker.
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Alle Bücher von Reinhold Urmetzer in Nr.282