333 Wieder gelesen: Nachdenken über Popmusik
Ein Interview mit Reinhold Urmetzer
Weiter geht’s mit meinen illustren Interviews, diesmal über Popmusik und mein langes Eintauchen in diese Welt. Dass ich nicht nur Musikgrafiken komponiere, Derridadaismen decodiere und anderes Unverständliche verständlich zu machen versuche, sondern mich auch lange Jahre in Discos und Popkonzerten herumgetrieben habe und eher vorsichtig bis abschlägig dem heimischen MusikEstablishment gegenüber eingestellt war.
Dass mich als junger und unbedarfter Mensch dieses gestelzt arrogante nebeneinander Her-Schweigen der Opern- oder Neue MusikFans ebenso verwirrt und gepeinigt hat wie die abnorme Lautstärke der Rockkonzerte samt den Rauch geschwängerten Hallen und Exzessen welcher Art auch immer.
Dass man als Künstler ein Leben, wie es ist, sein könnte oder sein sollte, immer im Auge behalten müsse und sich weder von Geld noch Wort-, Macht- oder Influenzer-Gelüsten verbiegen lassen darf.
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Frage: Sind Sie nun vom Paulus zum Saulus geworden?
Antwort: Warum?
Sie waren lange Jahre Spezialist für Oper und klassische Musik, haben in Fachzeitschriften wie „Das Orchester“ oder in der von Robert Schumann gegründeten angesehenen „Neuen Zeitschrift für Musik“ geschrieben, Interviews gemacht mit Olivier Messiaen, Wolfgang Rihm oder Karel Goeyvaerts. Und jetzt legen Sie kein weiteres Buch über Ästhetik oder Poststrukturalismus vor, sondern ganz lapidar eine Studie über Popmusik.
Ich muss korrigieren. Die Pop-und Rockmusik war lange Zeit mein zweites Standbein. Im Kulturteil der „Stuttgarter Zeitung“ habe ich zahlreiche Berichte über Rockmusik veröffentlicht, selbst Disco-Bewertungen eingeschlossen. Ich kenne diese Szene, ihre publizistischen, verlegerischen und künstlerischen Wurzeln also sehr gut. Mit dem Ex-Schlagzeuger Hermann Rarebell der Gruppe „Scorpions“ war ich befreundet. Wir haben zusammen studiert und ihm verdanke ich, dass ich auch den Weg zur Rockmusik gefunden habe.
So ganz neu und fremd ist mir diese Welt also nicht.
Und jetzt freunden Sie sich mit Enrique Iglesias an.
Ganz und gar nicht. Ich habe diese Musik bis vor zwei Jahren überhaupt nicht gekannt, ebenso wenig wie die Lieder von Robbie Williams oder Nick Cave.
Sie hatten sich ganz aus der Popkultur zurück gezogen.
Irgendwann reicht es, wenn man zu tief in diese Welt der Sterne und Sternchen eintaucht. Besonders schwer wurde mir auch das Rezensieren. Ich bin in einem Rockkonzert und muss danach schreiben, weil es wirklich so war: schlecht gespielt, miese Musik, Texte sehr beschränkt. Aber Tausende von Leuten jubeln um einen herum der Band zu, sind glücklich, haben sich auf diesen Termin gefreut. Und diese Menschen sollen dann tags darauf eine solch negative Kritik in der Zeitung lesen und verstehen. Ich konnte es einfach nicht mehr. Alles wird so relativ. Ich bin nicht der Groß-Inquisitor von Kunst. Also habe ich mit dem Schreiben von Konzert-Kritiken aufgehört.
Warum finden Sie jetzt wieder zurück zur Popmusik?
Durch Zufall. Mein Sohn hatte mir die amerikanische Hitparade überspielt. Dort fand ich „Tonight“, ein Dancefloor-Hit von Enrique Iglesias, der mich wegen seiner Aufmüpfigkeit – Sie wissen, dass es auch eine zensierte Fassung gibt – neugierig gemacht hat. Aber nicht diesen Song, sondern einen anderen, früheren habe ich mir dann schließlich ausgesucht.
Und auch analysiert.
Warum und für wen schreiben Sie solche Analysen?
Ich denke, das Nachdenken, auch Philosophieren über Popmusik und Popkultur kommt entschieden zu kurz im deutschsprachigen Raum. Obwohl diese Welt der Unterhaltung einen so großen Einfluss auf die Werte und Lebensformen unserer jungen Leute besitzt, findet nur sehr selten eine Diskussion, oder sagen wir besser: ein Diskurs darüber statt.
Wie ein Leben ist, sein könnte, sein sollte – diese wichtigen Fragen untersucht nicht nur die Philosophie. Die Antworten und Vorschläge darüber von wem auch immer sollten kritisch unter die Lupe genommen werden. Gerade wenn die Antworten aus dem Bereich der Massenmedien, der Werbewelt, der Mode kommen.
Ist Ihr Buch also eine Art „Kritik der Popkultur“?
Überhaupt nicht. Der Text über Iglesias ist m.E. lustig, ironisch, auch leicht zu lesen. Ich selbst musste immer wieder über manche Stellen laut lachen.
Sie nennen in der Überschrift „Drei Popsongs“ und analysieren doch nur zweì. Stattdessen fügen Sie einen schwer verständlichen Schopenhauer –Text ein. Warum?
Das wird man schon selber herausfinden müssen beim Lesen. Man darf nicht alles so ernst nehmen. Schon gar nicht in der Popkultur.
Sie wählen als Stilmittel in ihren Büchern oft die Gattung Rede. Hängt das mit Ihren Erfahrungen als öffentlicher Redner zusammen? Sie haben ja sogar einen Cicero-Rednerpreis in Bonn erhalten.
Ich denke schon, dass mich das geprägt hat. Auch immer wieder die direkte Auseinandersetzung mit einem Publikum, die es häufig gab bis hin zur totalen Ablehnung und Aggression. Aber ich wollte ja provozieren und habe das alles auch mit eingeplant.
Sie berufen sich dabei auf französische Vorbilder.
Ja. Es muss nicht immer alles so trocken, rational, „wissenschaftlich“ sein. Zwar habe ich das musikphilosophische Kapitel über Schopenhauer auch eingefügt, um das Denken ein wenig herauszufordern. Jedenfalls soll das Lesen der meisten Texte im Buch jedoch Spaß machen, anregen Stellung zu nehmen, Positionen zu beziehen einschließlich Widerspruch und auch Ablehnung. Auch dies ist eine Antwort.
Das letzte Kapitel, wo es um die Frauen-und Männerbeziehung geht, schlägt dann einen etwas anderen Tonfall an.
Ja, einen sozialpolitischen, auch kulturpessimistischen, wie Mann und Frau angesichts einer sich rapide wandelnden Epoche miteinander auskommen werden oder auch nicht.
Das Buch endet reichlich resignativ. Es klappt nicht mehr so recht zwischen Mann und Frau.
Ein wenig pessimistisch auch. Aber gegen Ende nehme ich alles auch wieder zurück, relativiere es, lasse es in der Schwebe, auch im Zweifel. Trotzdem sehe ich die Zukunft etwa der Familie skeptisch. Für das Kinderkriegen engagieren sich heutzutage nur noch der Papst oder die Homosexuellen.
Sie deuten bei Enrique Iglesias eine Homosexualität oder „Inversion“, wie Sie es mit Freud nennen, an.
Ich lasse alles offen. Es ist eine der vielen Perspektiven, auch Provokationen mit Reizwörtern und Reizthemen, die in dem Buch trotz seiner Leichtigkeit versteckt sind. Wie kann man als Außenstehender behaupten, jemand sei homosexuell? Viele Künstler sind oft alles, sie lieben Frauen und Kinder und Männer und Autos und Pferde und wer weiß was. Dann verkriechen sie sich wiederum in ihre sensible Weichheit oder spielen den harten Muskel-Macker. Entweder simulieren sie dies, weil es von den Vermarktern so gewünscht wird, oder sie sind wirklich alles, was ich eher glaube.
Sie sprechen vom „dekonstruktiven Denken“. Was verstehen Sie darunter?
Dekonstruktion, dekonstruktives Denken stammt aus dem französischen Kulturbereich und dem weiten Feld der Postmoderne-Diskussion auch in Amerika. Meinungen, auch Fehl-Interpretationen oder allgemein Auseinandersetzungen wollen provozieren, nicht um der Wahrheit, sondern um der Auseinandersetzung willen. Oder wie Lyotard sagt: Streiten um das Sic et Non. Dann kommen wir uns und der Wahrheit näher als mit Dogmatik oder besserwisserischen Beweisen. Zumindest wissen wir dann einen Weg, ein Ziel, auf das hin wir uns einigen müssen.
Robbie Williams lassen Sie in Ihrem Buch eher ungeschoren. Er scheint Ihnen zu liegen.
Wenn ich ehrlich sein soll, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich verachte sogar das, was ich von ihm über die Medien vermittelt bekomme, diese Selbstherrlichkeit, Arroganz und Albernheit. Es mag sein, dass auch er ein ganz Anderer ist, als er scheinen muss. Aber sein clowneskes Auftreten in Shows, Interviews, in den Clips finde ich meist lächerlich. Ich kann solche Menschen und Posen nicht ernst nehmen. Vielleicht ist es auch dieser englische Humor, mit dem ich meine Schwierigkeiten habe.
Dann gefällt mir schon eher Iglesias, wie er in seinen Live-Konzerten, die musikalisch ebenfalls meist nur Fakes, also Playbacks sind, über die Bühne hüpft und sich zur Schau stellt. Problematisch bleibt aber in seinem Fall das Schwanken und Hin und Her zwischen Latin-Lover und Dancefloor. Dies zeigt auch die Schwäche seiner Vermarkter, die nicht wissen, auf was sie ihn festlegen sollen.
Wenn alles so voller Lügen und Fakes steckt, warum hören Sie dann Popmusik?
Ich höre keine Popmusik mehr. Ich bin ganz außerhalb dieser Welt und Lebensform. Mein letztes Live-Konzert liegt Jahre zurück. Allein schon die Lautstärke hat mich damals aus den Hallen getrieben. Die neue Publikation ist nur ein Zwischenspiel, ein Intermezzo in meiner künstlerischen Arbeit. Vielleicht auch um ein anderes Publikum zu erreichen. Mein nächstes Buch wird sich nur mit philosophischen Fragen beschäftigen.
Ich habe das jetzige neue Buch den Studenten der Stuttgarter Musikhochschule/Abteilung Pop und Jazz und ihrem damaligen Leiter Bernd Konrad gewidmet. Dass die jungen Leute in allem Trubel, in all der Leidenschaftlichkeit des Lebens und der Musik nicht das Lesen, das Denken, die Distanz und den Zweifel vergessen mögen.
Denn trotz aller Relativität der Meinungen und Wahrheiten bleibt doch eines nur gewiss: dass das Denken, das Selber-Denken nicht aussterben darf. Und dass wir den Vordenkern, mich eingeschlossen, ganz kritisch und zögerlich nur glauben oder folgen dürfen.
Doch verkümmert das Denken, dann verkümmert die Sprache. Es verkümmert der Mensch. Oder besser noch: Verkümmert die Sprache, verkümmert das Denken. Es verkümmert der Mensch.
Deshalb dieses Buch.
Das Gespräch führte Alexandre Herrmann.
Reinhold Urmetzer, „Drei Popsongs über die Begegnung der Geschlechter“
ISBN 978-3849120924 – 14,99€
Alle Bücher von Reinhold Urmetzer in Nr. 282