337 Über Akrostichen
Biografisches
Bei den Verhandlungen mit dem Schott-Verlag über das neue Rihm-Buch bin ich wieder auf die Akrostichen zu sprechen gekommen, die ich in meine zahlreichen Artikel für die zwei Flagg-Schiffe des Verlags eingebaut hatte. “Das Orchester” ist eine Fachzeitschrift für Orchestermusiker. Sie liegt in den Opern- und Sinfonieorchestern im deutschsprachigen Raum aus und ist eher für diese fachspezifische Zielgruppe gedacht.
Die “NZ- Neue Zeitschrift für Musik” wendet sich an ein breiteres Musik interessiertes Publikum. Sie ist von Robert Schumann gegründet worden und hat dergestalt einen Ruf zu verteidigen. Diese beiden Zeitschriften sind international und trotz ihrer deutschen Sprache in vielen Bibliotheken zu finden. Ältere Exemplare sind gegen Bezahlung im Verlag erhältlich; ebenso auch ausgewählte Artikel.
Von den Zeitschriften “Inter-Nationes”(Bonn) und “Tribune d’Allemagne”(Hamburg) sind einige meiner dort erschienenen Aufsätze in mehreren Weltsprachen publiziert worden.
Begonnen habe ich meine geistige Spielerei mit den Akrostichen am 14.Februar 1984. Ich hatte für die Stuttgarter Zeitung, wo ich als „fester Freier” mit redaktionellen Aufgaben in den Bereichen Rockmusik, Neue und Alte Musik beschäftigt war, ein Konzert der englischen New Wave-Gruppe “Eurythmics” rezensiert. Meiner Konzert-Begleiterin Gabriele Kleefeld war dieses mein erstes Akrostichon gewidmet: Nur zwei Absätze im Text, beginnend mit G und K. Gleichzeitig verstärkte sich auch mein immer schon bestehendes Interesse an der römischen Literatur und Lebensform und ich hatte auch wieder mit der Lektüre von Ciceros “Atticus-Briefen” begonnen. Die Akrostichon-Idee stammt aus der Antike.
Insgesamt gibt es von mir 25-30 Akrostichen. Lange Sätze habe ich für die Deutsche Presse Agentur (dpa) und Sibylle Peine konstruieren können. Ich fügte einfach mehrere Artikel von nachfolgenden Tagen aneinander. Die dpa-Redakteurin hat ebenso wie Ingrid Hermann vom Schott-Verlag auch meist meine Aufteilung des Textes in Abschnitte übernommen, zumal beide nichts von meinem eigentlichen Vorhaben ahnten.
Ich wollte sogar mehrere Zeitungen auf diese Art mit einem imaginären Band zusammen binden, etwa die StZ, die Deutsche Presse Agentur und die FAZ. Aber Gerhard Koch, seines Zeichens Musikredakteur der FAZ und mit mir befreundet, war nicht mutig genug dazu. Was hätte es ihm schaden können? Niemand wusste doch davon und die Verschlüsselungen waren manchmal so kompliziert, dass sie niemand hätte erkennen können.
Da die Concept-Art mittlerweile ihre Wieder-Auferstehung feiern darf (seufz), habe ich mich jetzt zur Veröffentlichung und Publizierung dieser meiner spielerischen Nebenbeschäftigung beim Zeitungsschreiben entschlossen. Die Idee dazu kam mir, weil mir meine Aufgabe als Rezensent und Zeitungsschreiber immer langweiliger und überflüssiger vorkam.
Was für eine Kunst waren diese Akrostichen jenseits von politischen Botschaften oder Geldverdienen! – Mehr als einhunderttausend Mal erscheint ein von mir eingesetzter Name oder Satz in den Tageszeitungen, um Tags drauf wieder zu verschwinden. Ohne dass es jemand weiß. Nur sehr selten habe ich den oder die Widmungsträgerin im Nachhinein darüber informiert. Das ist Kunst, denke ich, Kunst für die Kunst: Jenseits von Ansehen, Popularität oder Geld existiert ein solches Kunstwerk ohne Sinn und Zweck frei schwebend nur im geistigen Raum. Genau das, was die Urväter der Concept-Art, etwa Marcel Duchamp, mehr oder weniger erfolgreich propagierten. Eine Kunst nur für sich selbst(1).
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Es folgen hier als ausgewählte Beispiele meiner künstlerischen Arbeit jetzt elf gut gelungene Akrostichen, veröffentlicht meist im Schott-Verlag in den Jahren 1984-2000. Im Blog findet Ihr unter der Nummer 183 im Aufsatz über Caesar ein ebenfalls sehr gelungenes und nur dort veröffentlichtes Akrostichon, das zu entdecken und zu entschlüsseln aber einige Mühe machen wird, weil es gegenläufig, von unten nach oben also zu lesen ist. Auch hier ist ein Freund aus der damaligen Zeit verewigt, mit dem ich immer noch in Kontakt bin.
Akrostichon I: I.HERMANN (also ein Aufsatz mit 8 Abschnitten, die das Akrostichon ergeben, meist von oben nach unten zu lesen).
Ingrid Hermann war die leitende Redakteurin der Zeitschrift „Das Orchester“. Dort war auch fast der Beginn meines journalistischen Schreibens, vermittelt durch Klaus Michael Hinz (Frankfurter Rundschau).
Eingebaut in den Aufsatz: Henzes „Don Quichotte“ in Stuttgart
Erschienen in: Das Orchester 5/1984 S.437
A II SELIM IN KAIRO
Ein ägyptischer Freund hat geheiratet, ich war Trauzeuge.
Eingebaut in den Aufsatz: Glass, „Echnaton“
Erschienen in: Das Orchester 6/1984 S.533
A III ALFRED (Lutz)
Ein Musikerfreund aus der Studentenzeit. Jetzt liest der Geiger die Zeitschrift „Das Orchester” im WDR-Sinfonieorchester Köln.
Eingebaut in den Aufsatz: Harry Kupfer, Mozarts „Idomeneo” in Stuttgart
Erschienen in: Das Orchester 4/1984
A IV FAM.LEMMOH (Hommel)
Rückwärts zu lesen
SWF-MusikRedakteur, der mir viel über den Karriere-Beginn von Wolfgang Rihm in Baden-Baden erzählt hat. Daraufhin entstand mein erstes Buch mit und über Rihm: “Offene Stellen – Abbiegen ins Andere”, 1988 (vergriffen, nur noch in Bibliotheken verfügbar)
Mein zweites Interview-Buch mit Rihm ist April 2019 erschienen (Musica Mundana Verlag/Schweiz)
Eingebaut in den Aufsatz: Donaueschinger Musiktage 1985
Erschienen in: Das Orchester 1/1986
A V STAT ROSA PRISTINA
Tod meines Vaters
Eingebaut in den Aufsatz: Festtage Alter Musik
Das Orchester 12/1987 S. 1303
A VI ADI(E)U I.(H)ERMANN
Meine Ansprechpartnerin im Schott-Verlag geht in den Ruhestand.
Nicht ganz gelungen; das hängt auch vom Layouter ab, ob er meine Textaufteilung in Abschnitte unwissentlich (immer und ohne Ausnahme!) übernahm oder auch nicht.
Gerhard Stadelmeier, seines Zeichens damals Theater-Redakteur in Stuttgart, später dann leitender Redakteur im Feuilleton der FAZ in Frankfurt, hat dergestalt ein sehr schönes und langes lateinisches Akrostichon von mir in der Stuttgarter Zeitung unwissentlich ganz zerstört. Der Artikel beschrieb einen längeren Streifzug durch die Stuttgarter Disco-Szene (Boa, Perkins Park etc.) und fungierte jeweils als Aufmacher an Faschings-Dienstag und Aschermittwoch (80er Jahre).
Das lateinische Palindrom-Akrostichon, passend zu Disco und Disco-Kultur, lautete: In girum imus nocte et consumimur igni – Im Kreis gehen wir nachts und werden vom Feuer verzehrt. –
Die Fragmente dieses Akrostichons waren in der StZ dennoch leicht erkennbar.
Mit dem sehr besserwisserischen und autoritären Redakteur Stadelmeier gab es in der StZ immer wieder Streit.
Eingebaut in den Aufsatz: Donaueschinger Musiktage 1989 S.143
Erschienen in: Das Orchester 2/1990 S.143
A VII URSULA
Vorname meiner späteren Ehegattin
Eingebaut in den Aufsatz: Lohengrin in Stuttgart S.650
Erschienen in: Das Orchester 6/1990 S.650
A VIII CESTUM HABEMUS VENERIS
Hochzeitsakrostichon in zwei aufeinanderfolgenden Artikeln für meine Frau: Antike Heiratsformel – Wir haben den Gürtel der Venus (zum Öffnen).
Daraus ist mittlerweile mit Texten für die Deutschen Presse-Agentur dpa als Geschenk an meine Frau ein mehrere Artikel umfassendes Concept-Kunstwerk zum Aufhängen an die Wand entstanden (s.Foto oben). Hervorgehoben sind die Buchstaben des Akrostichons. Meinen Text habe ich ganz durchgestrichen, weil er unwichtig war für das Ganze.
Eingebaut In den Aufsatz: Wettstreit Dirigentenkunst
Erschienen auch in: Das Orchester 11/1991 und 12/1991
A IX ADIEU
Freiwilliges Ende meiner Berichterstattung über die Donaueschinger Musiktage und auch meiner Arbeit für “Das Orchester”. Unser Kind war mittlerweile 2 Jahre alt und ich hatte keine Zeit und Lust mehr für diese Art von journalistischer Tätigkeit.
Gedacht als ein Willkommen/Adieu für Frau Raab, die Nachfolgerin von Ingrid Hermann; jedoch nicht zu Ende geführt.
Eingebaut In den Aufsatz: Donaueschinger Musiktage 1999
Erschienen in: Das Orchester 1/2000
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A X FORM FOLLOWS FUNCTION
Der Aufsatz über die neue Staatsgalerie Stuttgart (zusammen mit dem Architekten Claudius Homolka) ist mittlerweile ohne mein Mitwissen ins Internet gestellt, leider mit deutlich erkennbarem Akrostichon. Ganz entgegen meinen Absichten, dass mein Vorgehen im Allgemeinen verborgen bleiben soll.
Googeln: Opus Mixtum – Die Staatsgalerie Stuttgart (Claudius Homolka/Reinhold Urmetzer)
Eingebaut In den Aufsatz: Opus Mixtum
Erschienen in: NZ 5/1984 S.36
A XI WAHRHEIT IST EINFACH
Besuch und Interview für den SWR über Minimal Music und das Minimal Music Projekt in Utrecht mit Karel Goeyvaerts im Rundfunk Brüssel. Ohne Kürzungen wieder abgedruckt in der Taz.
Dieses Gespräch hat mich sehr beeindruckt und beeinflusst, v.a.die negative Haltung des belgischen Komponisten seinem WDR-Mitstreiter und Kollegen Karlheinz Stockhausen gegenüber. Daraus ist ein sehr guter und auch in vier Sprachen übersetzter Aufsatz von mir für die NZ über Stockhausen geworden.
Der Komponist Stockhausen hat sich über diesen meinen Aufsatz in der NZ-Redaktion beschwert („…was für ein Stil…“). Das hinderte ihn gleichwohl nicht daran, mich in seiner Wohnung bei Köln zu empfangen. Er sollte in der von Erhard Karkoschka und mir kuratierten Musikgrafik-Ausstellung im Stuttgarter Kunsthaus Schaller mit ausgestellt werden. Es war die erste kommerzielle Verkaufsausstellung überhaupt ihrer Art. Vgl.auch mein immer wieder von anderen „verbesserter“ Erst-Aufsatz in Wikipedia über „Musikgrafik“.
Der Tonbandmitschnitt dieses Treffens mit Karel Goeyvaerts in Brüssel und ohne die Kürzungen für den SWR-Rundfunk auf zehn oder 15 Sende-Minuten wartet noch immer auf seine Wiederbelebung. Wie so viele andere meiner Interviews auch, z.B.Gespräche mit dem Regisseur Bob Wilson, dem Komponisten Isang Yun, den Dirigenten Frieder Bernius und Dennis Russell Davies, dem Scorpions-Schlagzeuger Hermann Rarebell u.a.
Interviews mit Jean François Lyotard, Niklas Luhmann, Olivier Messiaen, Jean Pierre Dubost, Wolfgang Rihm und Helmut Lachenmann sind bereits veröffentlicht und warten in einem fast fertigen Sammelband auf ihre Publizierung.
Eingebaut In den Aufsatz: Wahrheit ist einfach
Erschienen in: NZ 1/1986 S. 17
1 Vgl. auch meinen Beitrag über Akrostichen in den Blog-Mitteilungen vom 27.10.2016 bei Nr.241
Alle Bücher von Reinhold Urmetzer in Nr.282