3 Über die Besetzung der Begriffe wie Bahnhöfe
Ex-Minister Geißler hat schon vor etlichen Jahren anlässlich einer politischen Auseinandersetzung mit Grün oder Rot den Gedanken ausgesprochen: Man müsse die Begriffe besetzen wie Bahnhöfe.
Unabhängig vom kriegerischen Unterton seines Appells hat er damit doch eine sehr richtige und wichtige Maxime des Denkens ausgesprochen: Begriffe, die neu entstehen oder geprägt, gefunden (nach Platon existieren die Ideen ewig) oder erfunden werden, sind in ihrer semantischen (Inhalts-) Ebene sehr stark bestimmt von ihren “Urhebern”. Nennen wie sie nun einmal so.
Urheber sind Erfinder der Begriffe. Über Entstehung, Geburt oder Findung der Begriffe gibt es wichtige und interessante Theorien in der Geistesgeschichte.
Die jüdische Urgesellschaft lässt sogar durch das Wort alles entstehen: Licht, Welt, Menschheit, Entwicklung (Altes Testament). Deshalb werden die christliche, die jüdische und die muslimische Religion von anderen Religionsgemeinschaften als “Religionen des Buches” benannt.
Platon greift diese Geist-Orientierung auf, indem er Ideen entdeckt, sprachliche Urbilder oder Allgemeinbegriffe wie Wahrheit, Schönheit, Gerechtigkeit als wichtigste Ideen, welche noch der Idee des Guten untergeordnet sind, d.h. Gott. Jeder Mensch strebt nach dem Guten für sich. Und dazu braucht er Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit. Dann gibt es noch weitere Ableitungen dieser Ideen, womit aber auch die Problematik der Ideenlehre beginnt, die ich hier nicht weiter ausführen kann.
Die Hauptideen sind jedenfalls überzeitlich und sie sind nur dem Denken, dem Geist zugänglich, nicht mit den Sinnen fühlbar. Sie sind also sprachgebunden. Sinnlich erkennbar sind sie als Abbild in der Kunst, die wiederum das Leben abbilden soll – als Leben der Ideen im Leben (=Ideale). Platon sagt nicht: sich in jemanden verlieben. Er sagt: “Und so entstand in ihnen das Abbild der Liebe”, nämlich als Kopie des Urbilds (gefunden bei Plutarch).
Auch bei Platon entfalten sich die Ideen = Allgemeinbegriffe dialektisch. Das heißt sie entwickeln in sich auch ihr Gegenteil, ihre Antithese, den Antipoden.
Hegel greift diese Idee weiter auf, lässt These und Antithese gegen- und miteinander streiten, bis sie zu einer Synthese kommen, welche die beiden Kontrahenten auf einer neuen Stufe vereinigt und weiter führt.
Der französische Philosoph Lyotard und die internationale postmoderne Philosophie hingegen begnügen sich mit dem Widerstreit der Begriffe. Sie lassen die Antipoden gleichberechtigt nebeneinander stehen – Widersprüche aushalten lernen und nicht krampfhaft Synthesen, Konsens etc. anstreben, so lautet jetzt die Devise. Die Welt ist bunt und vielfältig und kontrovers.
Ein gutes Beispiel für die Entwicklung und Ausbreitung eines Begriffes, auch wie dadurch unser Denken gesteuert und manipuliert werden kann, ist der Begriff “homophob“.
Er ist ganz neu. Es gibt ihn erst seit wenigen Jahren. Er suggeriert dem Denken und der unbefangenen Bevölkerung eine seelische Krankheit, nämlich die Angst (Phobie) vor Homosexualität. Wenn ich gegen Homosexuelle eingestellt bin, bin ich neurotisch, krank.
Die Phobie ist ein Begriff aus dem Vokabular Sigmund Freuds und sie ist eine der typischsten und verbreitetsten neurotischen Krankheiten überhaupt. Ängste können mittlerweile gut und schnell therapiert werden (nicht unbedingt mittels Psychoanalyse, zweimal pro Woche je 150€ und dies zwei Jahre lang; vgl. dazu im Blog die Nr.167 “Über Befreiung”).
Den Zeitgenossen eine seelische Krankheit zu unterstellen, nur weil man in unserer christlich geprägten Kultur der Homosexualität mit einer gewissen Scheu, Vorsicht, auch Angst begegnet, das ist schon ein kluger Schachzug der Homosexuellen-Fraktion. Gerade im Bereich der Sexualität hat die Natur und im Anschluss daran die Kultur mit gutem Grund “Scheu, Vorsicht und Angst” entwickeln müssen – warum, das ist eine andere philosophische Frage. Es ist eine Frage, wie weit die Lust unser Leben und Denken bestimmen soll oder auch nicht.
Die gegenwärtige Entwicklung zu einer Ächtung der Homophobie scheint jedoch nicht mehr umkehrbar. Nein, angstneurotisch wollen wir nicht sein – also akzeptieren wir die Andersartigkeit der Andersartigen.
In der Theorie Freuds sind alle Menschen, besonders ausgeprägt die Neurotiker, auch homosexuell. Das heißt nicht nur und ausschließlich, sondern auch. Wir sind sogar alles – man braucht nur unsere Träume oder die illustren TraumAngebote der Pornographie-Industrie zu betrachten. Etwas in uns hemmt und bremst uns jedoch, das alles mitzumachen, auszuleben, was dieses “Es”, freudianisch gesprochen, will. Dieses “Etwas” ist von Freud auch genau als “Über-Ich” definiert worden. Doch darüber später.
Die Besetzung, Eroberung und Durchsetzung des Begriffs “homophob”, um noch einmal auf den Beginn meiner Ausführungen über die Findung oder Erfindung von Begriffen zurück zu kommen, ist ein erster großer Erfolg der homosexuellen Emanzipationsbewegung der 80er Jahre, ein größerer wohl als alle Gesetze es vermögen, die mittlerweile weltweit erlassen worden sind. Und wer diesen Begriff in den Mund nimmt, outet sich zugleich als ein Freund der Homosexuellen.
Meine Einstellung zur Inversion, um wieder mit Freuds Vokabeln zu sprechen, hat sich gleichwohl nicht geändert. Eine harte und auch ausgrenzende Dogmatik, die Heterosexualität, wird durch eine andere harte und ausgrenzende Dogmatik ersetzt, die das entgegengesetzt Andere nur wieder ausschließt. Ein Fundamentalismus vielleicht auch, was eine befriedigende oder gute oder natürliche Sexualität zu sein hätte, löst einen anderen Fundamentalismus ab.
Warum soll man als Mann auf die Welt der Frau im Bereich der Sexualität verzichten?
Warum soll ich als Mann die Welt des Mannes im Bereich der Sexualität kennen lernen? Was könnte ich dadurch gewinnen? Was würde es der Frau bringen, wenn sie die sexuelle Welt der Frau kennen lernen würde?
(Dieser Gedankengang spielt, gelegentlich ironisch überzeichnet, eine gewisse Rolle in meinem neuen Buch “Über Liebe und Lust”. Es hat mich sehr und fast fortwährend in diesem Blog beeinflusst. Deshalb dran bleiben und weiter lesen!)