64 Musik für Geige und Klavier/Rimbaud-Fragmente (2)
Mao Zhao aus Peking und Albertina Eun Song (Seoul) studieren gegenwärtig meine Musik für Geige und Klavier neu ein; auch eine CD-Produktion im Studio ist geplant. Ich freue mich sehr, dass ich nun eine weitere Interpretation durch die Jugend kennen lernen darf.
1.Satz: Indiani Metropolitani (Introduzione/Allegro)
2. Satz: Adagio (Thema con variazione)
3.Satz: Scherzo
4. Satz: Angebot an den Straßenverkäufer (Andante semplice)
Dauer: Ca.30 Minuten Verlag: edition weissenburg
Das Werk ist in den Jahren 1980-82 entstanden und erstmals am 3. Februar 1986 im Süddeutschen Rundfunk aufgeführt worden. Solist war Alfred Lutz, ich selbst habe den Klavierpart übernommen. Es atmet die wilden Siebziger Jahre, wo ich als junger Rockmusik-Kritiker in Stuttgart oft zweimal die Woche unterschiedlichste Konzerte besuchen und besprechen musste. Die „Indiani Metropolitani“ im 1.Satz sind dergestalt ein Import aus dem damals überaus experimentierfreudigen Italien und sie trieben ihr Unwesen nicht nur in der Rockmusik, sondern auch in zahlreichen sich neu bildenden gesellschaftlichen Zirkeln und Kleingruppen, aus denen sich dann schließlich die Partei der Grünen und die Pazifisten entwickelte.
Drei Einstudierungen hat das Werk bislang erlebt, und allen drei Solisten bin ich zu großem Dank verpflichtet, zumal sie sich auch kongenial in die Musik haben einfühlen können und selbst als klassische Instrumentalisten das Rockelement dennoch ohne Berührungsängste deutlich werden ließen. Es sind dies die drei Geigenvirtuosen Alfred Lutz, Kay Petersen und Peter Schulmeister. Sie haben mir auch mit spieltechnischen Tips geholfen (ich selbst kann nicht Geige spielen) und sich die Mühe der Einstudierung gemacht. Alle drei hatten oder haben das Werk in ihrem Konzertprogramm.
Wie die beiden anderen stilähnlichen Kompositionen aus dieser Zeit, die Klaviersonate von 1977 und die Tanzmusik von 1979 ist auch die Musik für Geige und Klavier (früher nannte ich die Komposition „Sonate für Geige und Klavier“) nicht zuletzt Musik zum Tanzen, Träumen, Meditieren. Zum Herausgerissenwerden, Eintauchen ins Inferno, Davonfliegen irgendwohin und doch nicht Weg-oder Ankommen.
Auch eine Sonate ist das Werk gattungsgeschichtlich nicht mehr. Eher ein Abgesang auf die Sonate: zerstückelt und dekonstruktiv, mit Bruchstücken und Erinnerungen aus verschiedenen Musik- und Zeitstilen, mit Zitaten und Erzählungen, die am Ende eines unglücklichen Jahrhunderts noch übrig geblieben sind.
Beim neuen Hören und Beschäftigen mit dieser Musik ist mir alles wieder in meine Erinnerung zurückgerufen worden. Die Bitterkeit einer Phase des jungen Erwachsenenalters, wo man sich abzugrenzen begann von anderen Mitstreitern – in der Liebe, im Beruf, in der Kunst.
Wo eine Epoche auch des Aufbruchs, des Neuanfangs, des Optimismus, dass schier alles möglich sein könne, alle Freiheiten erkämpft, alle Wünsche realisiert werden, dass diese Zeit der Hppie-Hoffnungen und Versprechungen endgültig sich verabschiedet und resigniert hatte.
Das Aufbegehren gegen erstarrte Konventionen, gegen Krieg und heuchlerische Moral, gegen sexuelle Verklemmung und weltanschauliche Ideologien war ebenso vergeblich in Frage gestellt worden und schließlich gescheitert.
Selbst der optimistische und Frieden bringende Neuanfang in der Politik war wieder einem entfesselten Wettrüsten der Atommächte gewichen, die mit einer fast selbstmörderischen Wut von Neuem aufeinander losgingen. Und damit sind wir in den Achtziger Jahren.
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All dies wiederholt sich jetzt – fast 35 Jahre später – noch einmal mit anderen Vorzeichen. Also ist auch die Musik immer noch aktuell.
Eingesperrt in das Hamsterrad eines umfassenden, ja fast schon totalitären Ökonomismus, der alles nur noch der Herrschaft von Geld, Zahl und Konsum unterwirft, der die Strukturen von Familie, Freundschaft und Marktwirtschaft gnadenlos zerbricht, der Ressourcen von Mensch und Natur bedenkenlos ausbeutet, der mit Geldvermehrung spielt wie ein Kleinkind und selbst an Zusammenbrüchen noch verdient – – was hilft es, wenn alte Männer in Frankreich zum Aufbegehren rufen, wehrt euch wieder verlangen und doch nur die schlecht honorierten Schausteller im Zirkus der neuen Mächtigen geworden sind?
Der diskrete Charme der Bourgeoisie belächelte immer schon die Aufbegehrenden und Draußen-Stehenden als folkloristische Elemente, als Underdogs und Akteure in einer Seifenoper, deren Regiebuch sie selbst immer nur zu schreiben sich vorbehalten hatten.
Doch wer ist diese Bourgeoisie? – Das ist die Frage. Gewiss lässt sich Bourgeoisie nicht mehr im Sinne der Französischen Revolution oder des Marxismus definieren. Auch nicht mehr im Sinne Herbert Marcuses, der anonyme Kräfte auch der Bürokratie fast schon im Stile Kafkas mit verantwortlich gemacht hat am Erlöschen der Freiheits- und Mitbestimmungsbewegungen, die auch eine neue Art von „Erlösung“ im Sinne hatten – als wenn es so etwas geben könnte.
Doch wer diktiert gegenwärtig die Regeln in diesem alles umfassenden, ja schon totalitären „Verblendungszusammenhang“? – Wir werden darauf zurückkommen müssen. Darüber später.
In meiner Musik von 1980 steckt jedenfalls ebenso viel Aufbegehren wie Resignation. Es lassen sich Idyllen ebenso finden wie eine weltabgewandte Nacht-Melancholie oder das betäubende Ostinato karibischer Tänze und afrikanischer Wildheit.
Die ganz unter diesem Musik-Einfluss stehenden und jetzt neu geschriebenen literarischen „Rimbaud-Fragmente“, die ich unter dem Titel „Abfahrende Schiffe“ -Prosagedichte gesammelt, bearbeitet und weiter geführt habe, übertragen all diese musikalischen Erinnerungen noch einmal zurück in die Worte und in das weite Reich einer gestrandeten Poesie.
Ich beziehe mich bei dem Rimbaud-Remix auf die Übersetzungen von Hans Therre und Rainer G.Schmidt aus dem dem Jahre 1979/80. Das parallel dazu entstandene Hörbuch kombiniert diese neuen und auch älteren Prosagedichte von mir mit Rapmusik von Yolo Rhymes, um die Gegensätzlichkeit und Gespaltenheit unserer gegenwärtigen Kultur zu dokumentieren,
Die Musik gibt es in einer CD-Einspielung (Artissimo) mit Peter Schulmeister und Wassily Ilissawsky zusammen mit französischer Musik. In die Tanzmusik-CD mit Werken ausschließlich von mir aus den Jahren 1977-1982 ist die Komposition ebenfalls aufgenommen worden. Die Rundfunkaufnahme ist nur beim SWR erhältlich. Die Neuaufnahme und jetzt vierte Einstudierung mit Mao Zhao und Albertina Song erfolgt Mitte Juli im Studio der Musikhochschule Stuttgart.
Die Textausgabe der Prosagedichte sowie das Hörbuch mit diesen Texten in einer Rezitation von mir selbst und mit Rapmusik von Yolo Rhymes sind ebenfalls in der edition weissenburg erhältlich.