130 Über die Sinnfrage
Antwort an meinen Sohn (16)
Lieber Johannes,
Was mir gerade im Waldecker Wald eingefallen ist zu deinem Thema und deiner Frage nach dem Sinn. Platon würde sagen: was ich gefunden habe im ewigen Reich der Ideen, das schon lange vor uns existiert hat und was auch noch lange nach uns existieren wird. Das heißt: Über diesen Begriff hat man schon immer nachgedacht und wird man auch immer wieder nachdenken müssen.
Der Sinn des Lebens besteht darin, aktiv dem Leben einen Sinn zu geben. Ich stimme dieser Aussage deiner Mutter zu. Und: Wenn man diesen Sinn nicht findet aus welchen Gründen auch immer, auch nicht so schlimm, dann wird man gelebt, füge ich hinzu.
Vielleicht ist dieses passive Gelebtwerden – vom Schicksal, von seinem Körper, vom Geld, der Staatsgewalt, von der Natur, von Gott – sogar manchmal ganz gut. Es führt einen zu einer buddhistischen Gelassenheit, Gleichgültigkeit, sein Karma – das Schicksal, sein Schicksal – anzuerkennen ohne große Aktivität, Anstrengung, Widerstand, Stress und Streit.
Sich Einfügen in den großen Kreislauf des Lebens: Animalisch wie die Tiere, geistig mit Nachdenken und Erforschen wie ein Mensch, gut strukturiert wie der Ameisenhaufen oder Termitenstaat, umgeben von einem riesengroßen All und Universum, das wir nicht erkennen, geschweige denn steuern, bearbeiten, verändern können.
Das All, unsere Erde und wir sind nur eine der vielen Möglichkeiten Gottes.(These)
Isosthenien, also Gleichwertigkeiten bei der Wahrheitssuche, sind notwendig, damit der Mensch nicht übermütig wird wie ein Gott und glaubt alles wissen, alles erkennen, alles richtig machen und steuern zu können. Das ist der tragische Mensch in der Antike, immer auf der (vergeblichen) Suche nach sich selbst, nach Sinn und Schicksal.
Überall bilden sich im Laufe von Zeit und Geschichte Gleichwertigkeiten, die einen und alles in der Schwebe lassen. Deshalb gibt es immer nur Wahrheit von Fall zu Fall, wie auch du zu sagen pflegst. Auch diese meine Thesen, meine Gedanken werden Widerspruch finden, widerlegt werden können, was wiederum widerlegt werden kann und weiter so ad infinitum.
Wir leben und denken in einem geistigen, emotionalen und sozialen Chaos. Aber dieses Chaos ist voller Energie und Dynamik, voller Änderungen, voller positiver Möglichkeiten und negativer Gefahren. Wir müssen nur richtig wählen lernen.
Wer sagt einem jedoch, was wichtig, unwichtig, richtig oder unrichtig ist? – Dein Vater zum Beispiel. Vielleicht sogar jetzt!
* Unter dem Titel „Über die Sinnfrage“ ist 2010 eine Publikation von mir erschienen, die jetzt auch als E-Book bei Amazon erhältlich ist.
S.282: Bücher von Reinhold Urmetzer
Statistik Meist gelesen: 45 Vom Denken 42 Jean Baudrillard (II) 100 Über Karlheinz Stockhausen 25 Satyricon 76 Catull (5) 114 Martial (I) – Die Lateiner sind auf dem Vormarsch!