149 Sinn im antiken Rom (Lukian 1)
Philosophische Schulen der Zeit
Im Nachfolgenden will ich, um allmählich an das Ziel meiner Ausführungen zu gelangen, die weltanschaulichen Schulen im großen römischen Reich vorstellen. Wir kommen mit dieser meiner Geschichtsbetrachtung von unten – nicht von oben: einer Zeit der Sieger, der Mächtigen, der Überlebenden -, wir kommen also auch dem Werte-Kanon der römischen Antike im ersten nachchristlichen Jahrhundert immer näher.
Auch der Frage, ob eine so lange vergangene Zeit unserer Zeit noch etwas zu sagen hat. Stichworte Machtstreben, Militarismus, Krieg, autoritäre Herrscher, Imperialismus, Luxus, Wohlleben, weltanschauliche Desorientierung, Alles geht, Ablenkung durch alle Arten von Vergnügen und Lust, Ende der Götter im Olymp. Ein neuer Gott wartet bereits um die Ecke und ist in der Unterschicht, bei den Sklaven, besonders beliebt.
Immer wieder deshalb auch die Frage in unserer Gegenwart: Wie soll ich mein Leben in der jetzigen Zeit leben, um glücklich zu sein. Wie soll ein einigermaßen sinnvolles, befriedigendes Leben aussehen, so dass man gegen Ende auch beruhigt wird sagen können: Genau so würde ich diesen Lebensweg noch einmal gehen wollen.
Oder auch nur auf die Frage des Minnesängers Walther von der Vogelweide im 13.Jahrhundert zurück zu kommen (ich wiederhole mich): wie man zer werlte sollte leben.
Ich denke, um diese Frage zu beantworten, braucht es nur wenige Sätze, ja vielleicht auch nur einige Worte, die uns leiten, die uns wegweisend sein können. Es gibt nicht viele wichtige Entscheidungen, die wir in unserem Leben treffen müssen. Meistens werden wir entschieden, werden wir gelebt. Die Spur, die wir einmal eingeschlagen haben so um die 30, wird unsere Leitspur bleiben. Nur sehr wenige schaffen ein Kreuz-und-quer-Leben.
Um zu diesen selbst gesteuerten Weg-Entscheidungen zu kommen, sie zu finden, auszuwählen innerhalb unserer gegenwärtig riesigen und noch nie so da gewesenen Informationsflut, genügen nur wenige Worte, die wie ein Leitbild, wie ein Leitstern unseren Weg lenken können. Das mögen Gebote oder Verbote unserer ethisch-moralischen Systeme sein. Meist sind es jedoch nur einfache, fast lapidare Handlungsanweisungen, die sich in unserem Über-Ich gespeichert und auch im allgemeinen Leben evolutionsgeschichtlich bewährt haben. Um solche Handlungsanweisungen haben sch alle spät römischen Schulen bemüht. Es gab darunter sogar „Peisithanatoi“, die zum Selbstmord zu überreden versuchten (gegen ein Honorar natürlich).
Einer meiner bevorzugten Informanten aus dem Leben der spät römischen Antike ist der Schriftsteller und Satiren-Schreiber Lukian von Samosata. Auch er nannte sich Satiriker, denn Satire war damals angesagt. Satire (selbst häufig in Dialogform wie bei Lukian), Lyrik, Briefe, Reden – das waren die schriftstellerischen Gattungen der Zeit (noch nicht Roman oder schon eher Dramatik im Sinne eines Volks-Theaters mit Musik). Auch dieser Künstler lebte im zweiten nach-christlichen Jahrhundert ungefähr von 120-ca.200. Er war ein geborener Syrer, verbrachte sein Leben weniger in Rom als in Athen, Gallien und Ägypten. Die letzten Lebensjahre war er angestellt beim römischen Statthalter in Alexandria, einer der drei großen und einflussreichen Welt-Metropolen neben Athen und Rom. Der Zenit des römischen Weltreiches war gleichwohl gegen Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus bereits überschritten.
Lukian schrieb in Griechisch. Er war ein typischer Intellektueller, mehrsprachig, ein Kosmopolit. Sein Denken kreiste fortwährend um den geistigen Zustand (Zerfall) der Zeit, worüber er nur Spott und Hohn übrig hatte. Er kreiste um Rom, die Hauptstadt, und um das große Reich, das sich immer mehr gegen Auflösungserscheinungen an den äußeren Grenzen, aber auch im Innern, was Moral, Politik und Religion betrifft, wehren musste.
Wie immer, wenn das Ganze verloren gegangen ist, wenn die Einheitlichkeit einer Unübersichtlichkeit, einem „Alles geht“ weichen muss, bleibt nur noch die Skepsis übrig. Lukian war ebenso wie Cicero und viel später auch Montaigne oder Nietzsche ein Skeptiker. Nicht bitter und rechthaberisch und aggressiv, sondern voll Ironie und Spott, feinsinnig Zeitumstände wie Götterglaube karikierend und dennoch wie Epikur „die Früchte der Zeit genießend“, die man in diesem wohlhabenden Reich, das sich immer noch ganz auf die Sklaven-Ausbeutung stützte, bereit hielt.
Wieder entdeckt wurde der Schriftsteller, der es Zeit seines Lebens und anders als etwa die in Rom ansässigen Künstler zu keiner großen Popularität oder Berühmtheit brachte, von der Epoche der Aufklärung. Insbesondere für die Klassiker in Weimar um 1800 war er die bevorzugte Quelle eines das „antike“, neue, freie, Geist und Sinnlichkeit vereinbarenden Lebens (Goethe, Schiller). Zumal seine Werke in einer neuen Übersetzung durch Wieland (ein Schwabe wie Schiller, ja, der aus Biberach an der Riss) den enthusiastischen Weimarer Künstlern zugänglich gemacht wurden.
In Lukians Erzählung „Der Verkauf der philosophisch Schulen“*(bei Wieland heißt es noch „Sekten“) werden führende Philosophen, die in Athen und in der ganzen antiken Welt späterhin weltanschauliche Schulen begründet haben, vorgestellt. Sie werden auf dem Sklavenmarkt in Athen versteigert und vom Auktionator mit ihrer Philosophie und Lebensweisheit kurz und ironisch präsentiert.
Meist zogen diese Schulhäupter aus der zweiten vorchristlichen Jahrtausendhälfte mit einer mehr oder weniger großen Anhängerschar („Jünger“) durch die Lande, hielten Vorträge gegen Geld oder auch nicht und lebten in Wohngemeinschaften auch der homosexuellen Art etliche Jahre zusammen. Andere gründeten ihre Schulen in festen Gebäuden und hielten dort ihre Vorlesungen wie heutzutage auch. Platons Lehranstalt nannte sich „Akademie“, Aristoteles unterrichtete im Peripatos, Epikur in einer schönen Gartenanlage, die Stoiker in einer großen Säulenhalle.
In loser Reihenfolge werde ich die unten aufgeführten weltanschaulichen Schulen jetzt anschließend vorstellen. Sie stammen alle aus der griechisch-hellenistischen Vergangenheit, hatten im antiken Rom ihren welthistorischen Höhepunkt und haben sich bis in die Gegenwart gehalten, wenn auch mit anderen Namen und gelegentlich mit inhaltlichen Akzent-Veränderungen:
Kyniker (heute die Punks)
Kyrenaiker (die Hedonisten und Anhänger von Lust, Genuss und Wohlleben)
Peripatetiker (die Naturwissenschaftler)
Stoiker (Askese, Pflicht, Moral, spätere Christen)
Epikureer (Freude, Glück und Wohlleben)
Akademiker (auch Skeptiker, von Platon gegründet, bald aber in dogmatischer Skepsis erstarrt)
Idealisten (die eigentlichen Nachfolger Platons überlebten in Rom nur als „Irrationalisten“ und esoterische Anhänger Plotins)
Pessimisten (Heraklit, Weltuntergangs-Propheten)
Optimisten (Demokrit, positiv Denkende, Lachen, Spott)
Materialisten (Geld, Macht, Einfluss, Sex, Wohlleben)
Esoteriker (Pythagoras)
Sophisten (Alles geht)
*Lukian, „Werke“(Drei Bände), Übersetzung von Martin Wieland, Aufbau –Verlag Berlin 1981
Aufsätze im Blog zum Thema Antike und antikes Leben (Archiv):
Begegnung mit der Antike I – VI (im deutschen Blog die Nummern 13, 14, 15, 26, 27, 288; als Übersetzungen im englischsprachigen Blog die Nummern 17, 18, 19, 30, 31)
Philosophische Schulen im alten Rom: Lukian 1 (Einführung 149), 2 (Kyniker 151), 3 (Hedonismus 152), 4 (Platon, Sokrates 153), 5 (Aristoteles 199), 6 (Skepsis 242), 7 (Demokrit und Heraklit 243) – es fehlt noch die Stoa
Römische Lektüre: Satyricon (25), Caesar und Cicero (32), Catull 1-9 (die Nummern 71, 72, 73, 75, 76, 77, 79, 80, 179), Martial (114, 113), Juvenal (126, 125, 256), Germanicus (129), Caesar (131, 32), Augustus 271,
Tacitus (158, 160)
Seneca und Nero (161), Senecas Tod (162) Der große Brand Roms (163) Vom Töten (164)
Horaz 1-7 (224, 225, 226, 227, 229, 230, 272)
Sextus Empirikus (236, 237, 267)
Seneca (261, 263)
Griechische Lektüre: Platons Phaidros (22, 23, auch in Englisch), Platons Symposion (180, auch in Englisch), Platons Themen (198), Platon und Alkibiades (283)