260 Über Tanztheater
Aus einem Schriftwechsel mit der Choreographin Mirjam Sögner (Berlin/Wien) und der Sängerin NatáLia Bálint
Liebe Frau Sögner,
Vielen Dank für Ihre nützliche Rückmeldung. Nein, es soll kein einseitig mythologisches Handlungsballett aus meinem Tanztheater werden, eher das Gegenteil!
Natürlich kann man das Stück ganz abstrakt oder auch aktualisiert auf die Bühne bringen. Nicht unbedingt in Ihrem Sinne. Aber zu einseitig mythologisch interpretiert wird es Opfer einer „Ost-Ästhetik“, wie es mittlerweile mit dem (Final)-„Song of Thetis“ in der Interpretation mit NatáLia Bálint geschehen ist (YouTube).
Ich habe jetzt auch Ihre Webseite genauer studieren können, sie hat mir sehr imponiert. In vieler Hinsicht. Ich denke sogar, das Feinsinnig-Filigrane der (Ihrer?) Zeichnungen trifft sogar ähnliche (formale) Intentionen in Ihrer Tanzkunst. Weniger haben sie leider mit meinen „Ilias“-Bildern zu tun, zumal diese fast nur von Trauer und Schwermut gezeichnet sind.
Es ist tatsächlich so, dass unsere ästhetischen Vorstellungen wenig kompatibel scheinen. Ich sage scheinen. Denn wie Sie bin auch ich kein Freund eines direkt-plakativen Handlungsballetts, schon gar nicht eines mythologischen. Also sollten auch die „Abfahrenden Schiffe“ kein plumpes Handlungsballett, keine einfache Verdopplung eines Geschehens aus der Antik nur sein. Dann doch lieber Abfahrende Schiffe im Mittelmeer.
Ich möchte mich jedoch in meiner Kunst nicht zu sehr von Abstraktionen leiten lassen, denn meines Erachtens spiegelt die Kunst ein Leben, wie es ist, sein könnte, sein sollte. Zwar im Sinne Umberto Ecos vielfältig gebrochen auch durch das Elitäre im Sinne von Abstraktion, Wissen und Kunstfertigkeit, aber doch nahe an den Menschen und ihren Bedürfnissen. Deshalb auch ganz bewusst diese meine Art von Musik.
Vielleicht finden wir folgenden Kompromiss, um unseren Kontakt nicht ganz abbrechen zu lassen und den Diskurs weiter führen zu können: Sie picken sich nur ein oder zwei Beiträge heraus, die Ihnen musikalisch gefallen und setzen diese Musik tänzerisch um. Sie bebildern nicht, sie illustrieren nicht, aber Sie versuchen zu interpretieren. Denn die Musik sollte nicht nur, wie so oft geschehen, missbraucht werden als ein beliebig austauschbarer Hintergrund. Selbst in einer Aufführung noch sollten sich Tanz und Musik fast metaphysisch begegnen, berühren, gegenseitig inspirieren…
Zum Schluss noch einmal meine Bitte: Ob Sie mir jemanden in der Tanzkunst nennen könnten, an den ich mich mit meinem Anliegen wenden könnte. Gerne auch jemand, der politisch arbeitet vielleicht sogar wie Erwin Piscator in den 20er Jahren.
Soviel für heute und Danke noch einmal für Ihr Interesse!
Es grüßt Sie sehr herzlich aus Stuttgart
Reinhold Urmetzer
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Lieber Herr Urmetzer,
vielen, lieben Dank für die Zusendung der Unterlagen!
Ich habe mich sehr über die Post gefreut und gerne durchgeblättert / durchgehört.
Nach der genauen Einsicht der Materialien bin ich mir jedoch nicht sicher ob ich die Richtige bin um den choreographischen Teil des Projekts umzusetzen.
Meine Arbeit ist sehr abstrakt, tief verankert in der Bewegungsrecherche und weniger im Darstellen von bestimmten inhaltlichen Ideen, wie von Ihnen durch die Wahl der
mythologischen Bilder vorgeschlagen.
Um sich ein genauere Vorstellung zu meinem Schaffen zu machen schauen Sie doch gerne auf meiner Website vorbei: www.mirjamsoegner.com
Sollten, Sie doch zu dem Schluss kommen, dass Sie mein choreographischer Ansatz ästhetisch anspricht, können Sie sich gerne abermals bei mir melden. Ansonsten wünsche ich Ihnen viel Spaß und
Inspiration für den weiteren Verlauf des Projekts!
Mit herzlichen Grüßen
Mirjam Sögner
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Hallo NatáLia,
Danke für dein Schreiben über den Stand der Dinge. Wenn es jetzt um Bearbeitungen, Soundfragen, Cover-Versionen etc. des Thetis-Liedes geht, will ich Folgendes klar stellen:
Bearbeitungen mit Rockbands, Sound-Maschinen etc. sind alle ok, sofern auch meine Rechte als Urheber von Text und Musik beachtet werden. Ich freue mich sogar, wenn dieses Lied oder das ganze Tanztheater neue und kreative Ideen in die Welt setzen. Ich bin in diesem Bereich, ähnlich wie Wolfgang Rihm, offen und geduldig.
Bei Fassungen mit Bildern und Videos etc. möchte ich jedoch von meinem Vetorecht als Urheber Gebrauch machen dürfen. Das heißt, ich möchte mir die Fassung vorher ansehen.
Das Gleiche gilt für Übersetzungen in andere Sprachen.
Wenn das Lied im Rahmen eines Tanztheaters aufgeführt wird, soll es wie alle anderen Stücke des Projekts im allgemeinen live gespielt werden. Das heißt Du und die Erstbesetzung haben das Vorrecht bei der Besetzung mit Musikern.
Ich möchte also weniger, dass bei Aufführungen CDs oder andere MusikKonserven verwendet werden, wie es so oft im Ballett oder Tanztheater stattfindet. Das Ensemble ist ganz bewusst von mir so klein eingeplant und auf Notenpapier festgehalten worden. Alles ist von Fachleuten abspielbar, die quasi wie in einer Performance in das Geschehen mit einbezogen werden können. Das heißt, dass sie auf keinen Fall versteckt werden sollen. Im Gegenteil.
Natürlich können und sollen auch immer wieder andere Musikanten dieses Lied und das ganze Tanztheater interpretieren.
Für das AbschlussLied, das gerade jetzt in Studios bearbeitet wird oder worden ist, kann man sich die MusikVersion von Evgeny Alexeev ausleihen. Vor allem, wenn als Abschluss des Ganzen eine Film-oder (YouTube?-)Videoaufnahme eingeblendet wird, was ich mir gut vorstellen kann. Das Lied selbst muss aber live gesungen werden, um den Gegensatz zum Klassik-Beginn quasi mit einer Arie jetzt zum internationalen und Welt umspannenden Song ( deshalb in Englisch) deutlich werden zu lassen.
Viele Grüße
Reinhold Urmetzer