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Landschaft mit Martyrium der heiligen Katharina

Ein Interview mit Reinhold Urmetzer



Frage: Es hat einige Zeit gedauert, bis die “Landschaft mit Martyrium der heiligen Katharina” fertig war.


Antwort: Ja, mehr als fünfundzwanzig Jahre. Immer wieder hat der Text nur in mir geschlummert, ich habe ihn mir vorgenommen, ihn verändert, Teile sogar daraus verloren, neue Fragezeichen eingefügt und so fort.


Warum dieser seltsame Titel? Handelt es sich um ein religiöses Buch?


Nein, ich glaube sogar eher das Gegenteil. Es ist zwar ein Buch auf der Suche, vielleicht sogar nach Religion, Sinn oder Gott, aber es ist durch und durch ein Buch der Negation. Vielleicht sogar ein Buch im „Herzen der Finsternis“, um mit der Sprache von Josef Conrad zu sprechen.


Der Titel geht auf eine Komposition für großes Orchester des amerikanischen Komponisten George Lopez zurück, ein Werk, das ich 1986 auf den Donaueschinger Festspielen für zeitgenössische Musik kennengelernt habe. Der Komponist selbst beruft sich als Inspirationsquelle auf ein Gemälde Pieter Breughels aus dem 16. Jahrhundert.


Welches Martyrium wird in Ihrem Buch geschildert? Ihr eigenes?


Nein. Es hängt sogar, sofern ich das sagen und beurteilen kann, kaum mit mir und meiner Person zusammen. Es geht, auf einer ersten Ebene betrachtet, um die Begegnung eines Mannes mit einer Frau auf der Pilgerreise nach Santiago de Compostela in Spanien. Die Frau möchte mit ihrem Geliebten reden, ihn kennenlernen, doch der Mann entzieht sich immer, weil er vielleicht gar nicht mit der Frau reden kann.


Warum?


Das ist die Frage.


Warum kann er nicht mit ihr reden. Kann oder will er nicht? Ich glaube eher, er kann es einfach nicht, ebenso wie wir uns über wirklich wichtige Dinge oft nicht verständigen können. Das behauptet zumindest Maurice Blanchot, so wie ich ihn verstehe.


Im Mittelpunkt des Ganzen steht also, auf einer zweiten Ebene, ein Kommunikationsproblem, das Problem mit dem Verstehen, mit der Verständigung. Dies ist ein sehr aktuelles und auch altes sprachphilosophisches Thema, das durch die postmoderne Diskussion – inwiefern kann unser abendländisches Denken, seine Vorstellung von Vernunft, von Demokratie noch für die aktuellen Probleme unserer Gegenwart herangezogen werden – an Dringlichkeit nur noch gewonnen hat.


Oder müssen wir nicht eher, wie es etwa die französischen Philosophen proklamieren, ein ganz neues Denken entwickeln, welches den Problemen unserer Zeit auch international und global gesehen besser gerecht wird.


Es geht um das Wort, um die Wahrheit des Wortes, des Satzes, des Textes – auch einer Theorie, einer Meinung, einer Weltanschauung, sofern sie schriftlich fixiert sind. Das gesprochene Wort ist noch einmal etwas anderes.


Wenn es keine verallgemeinerbare Wahrheit mehr gibt, wie die pessimistischen französischen Denker proklamieren, wenn alles in relative Einzelwahrheiten zerfällt, die von Fall zu Fall nur zutreffen mögen, dann tritt ein altes hermeneutisches Problem an diese Stelle: die Verständigung. Was soll gelten, warum, warum nicht. Nicht mehr Wahrheit als solche, sondern die Verständigung über die Festlegung der Wahrheit wird ausschlaggebend.


Die pragmatische Wahrheitstheorie definierte Wahrheit als das, was nützt. Die Dogmatiker und Idealisten definierten die Wahrheit als das, was ist (was der Fall ist). Naturwissenschaftler berechnen mit ihrer Zahlen- oder Messdogmatik die Wahrheit – Wahrheit ist meist das, was der technischen Verwertung, das heißt auch der Ökonomisierung nützt.


Das postmoderne Denken fügt nun all diesen Definitionen, die von Fall zu Fall richtig sein mögen als ausschlaggebend die Auseinandersetzung um die Wahrheit hinzu. In der Sprache Lyotards ergibt sich daraus ein positiver „Streit“: Begegnung, Sprechen, Argumente, Austausch, Kontakt werden wichtig. Vielleicht sogar Konsens im Sinne von Jürgen Habermas.


Die dritte Ebene im Buch wäre dann die mehr oberflächliche und touristische Beschreibung der wichtigsten Stationen des Jakobswegs. Vierzehn Stationen habe ich dabei ausgewählt, vierzehn Stationen wie der Kreuzweg der katholischen Kirche.


Es geht oft aber auch um Sprachlosigkeit, Nichtverstehen, Nichtverstehenwollen.


Sprachphilosophisch gesehen bin ich ein Skeptiker der alten Schule. Wenn Sie meine anderen Bücher aufmerksam gelesen haben, werden Sie auch dort immer wieder Phasen von Sprachlosigkeit, Nichtverstehen, Verständnislosigkeit kennenlernen.


Ebenso wie es eine negative Theologie gibt, die keine Aussagen über Gott machen will (eher schon Aussagen darüber, wer oder was Gott nicht ist), so kann auch in meinem Fall von einer negativen Kommunikation gesprochen werden. Zwar gibt es den bekannten Satz, man könne nicht nicht kommunizieren. Aber das postmoderne Denken geht mit diesem psychologischen Ansatz und dem Problem der Kommunikation anders um, weniger positiv.


Nicht so aggressiv zwar wie die Surrealisten, Dadaisten oder Lettristen, aber doch im Sinne der Sprachskeptiker: Kommunikation mittels Sprache ist oft zum Scheitern verurteilt, misslingt, führt in eine Sackgasse. Die Sprachlosigkeit kann Überhand nehmen.


Und das genau ist das Problem unserer beiden Protagonisten auf ihrer Pilgerreise nach Santiago.


Dabei ist das Ziel, die Kathedrale in Santiago, doch eindeutig und klar definiert.


Schon. Aber ich selbst wusste bei der Abfassung des Textes nicht, ob ich die Kathedrale stehen lassen oder als eine Ruine erfinden sollte. Sie steht natürlich prächtig und schön da und ist mittlerweile auch noch viel bedeutender geworden für das kulturelle Bewusstsein Europas seit der Abfassung meines Textes 1987.


Aber ich war tagelang außerordentlich verzweifelt, unruhig, unschlüssig über das Problem des Endes. Wie soll dieser Text, dieses Sprachlabyrinth, dieser unendliche Satz ein Ende finden. Es war fast so schlimm wie bei Balzac, der beim Tod seiner Hauptpersonen immer selbst bitterlich geweint haben soll.


Dennoch habe ich dann wie durch Fügung das Finale gefunden.


Das Ende bleibt jedoch irgendwie offen.


Ja. Es „entflieht“ wieder in die Sprachspielerei, in die schöne Form, also in einen Ästhetizismus, der letztendlich das Problem des ganzen Buches ist. Es ist auch das Problem Maurice Blanchots. Auch dieser Schriftsteller flüchtet sich in den schönen Schein der Worte und Paradoxien. Als wenn seine Sprachartistik uns an ein sinnvolles Ziel bringen könnte.


Was wäre ein sinnvolles Ziel?


Die Verständigung, die Begegnung, das Wissen um Wahrheit, Gerechtigkeit und Gott, das wäre ein solches Ziel. Aber dieses Ziel kann mit einer negativen Sprache oder Kommunikation nicht erreicht werden. Ich sagte es schon zu Beginn.


Warum sollte man dann ein solches Buch überhaupt lesen?


Ich bin auf dem Umweg über den französischen Philosophen Jacques Derrida auf den Schriftsteller Maurice Blanchot gestoßen. Derrida hat sich in seiner „dekonstruktiven Lektüre“ häufig mit Blanchot befasst. Er zerlegt, dekonstruiert, parodiert gelegentlich, interpretiert auf eine ganz faszinierende Art und Weise schwierige Text, darunter auch solche von Blanchot.


Sein Vorgehen, seine mittlerweile sehr bekannt gewordene Methode der Dekonstruktion verspricht jedoch trotz aller Tücken und Schwierigkeiten des Verstehens immer auch einen Gewinn. Nur auf einer ganz anderen Seite, als man es erwarten würde: das Denken wird nämlich gefordert, herausgefordert, das Lesen, das Verstehen. Besonders natürlich dann, wenn man die Sprache Blanchots oder das Vorgehen Derridas ablehnt.


Warum ist auch Ihnen das Denken so wichtig?


Es gibt eine anthropologisch begründete Dialektik des Denkens. Verkümmert das Denken, dann verkümmert die Sprache; verkümmert die Sprache, dann verkümmert das Denken; es verkümmert der Mensch.


In unserer Facebook- und Twitter-Kultur der Überinformation, der Über-und Desinformiertheit (aus Werbegründen bin auch ich ein eifriger Twitterer geworden) kommt das Lesen, das kreative Schreiben, das Infragestellen zu kurz. Man versteht die alten Sprachen nicht mehr. Dabei sind viele Fragen und Probleme, die etwa Platon angesprochen hat, immer noch aktuell, immer noch nicht gelöst.


Wie will man Theorien selbst im Bereich der Naturwissenschaft (und ganz zu schweigen von den Geisteswissenschaften) ohne Lesen und Schreiben aufstellen, beweisen, verteidigen? Werden wir zukünftig nur noch mittels gesprochener Sprache und ganz ohne Texte kommunizieren, wie es uns die Computer-Linguisten glauben machen wollen?


Aber gewiss ist, dass Texte ohne Spannung, Handlung oder Unterhaltungswert heute bereits unverkäuflich sind.


Dann sind Ihre Bücher auch heute unverkäuflich.


Vielleicht. Mich haben auch Filme immer mehr interessiert, wenn sie keine Handlung, keine Spannung enthielten und voller Rätsel waren. Eine Bildsprache für das Auge, eine Musiksprache für die Ohren – das ist mir schon genug.


Genug Freiraum auch zum Denken, Phantasieren, Halluzinieren für die eigene Interpretation, die immer auch einen Weltentwurf darstellt. Zumindest basteln wir daran herum.


Ähnliches gilt auch für meine Landschaft mit Martyrium der heiligen Katharina. Es geht nicht im feministischen Sinn um die Befreiung der Frau aus den intellektuellen Fängen des Mannes. Oder um das Ende der Philosophie – die heilige Katharina ist auch die Schutzheilige der Philosophen. Ihr kirchlicher Feiertag ist der 25. November.


Es geht um das Sprechen, Nichtsprechen, Sprechen-wollen, Sprechenkönnen. Also um etwas ganz Existenzielles. Und es geht um den Stuhl Pascals: auch ohne Sprache oder Vernunft alles dies aushalten zu können, aushalten zu lernen und sich nicht von den vielen tagtäglichen Ablenkungen blenden zu lassen.



Das Gespräch führte Alexei Chibakov


*


Reinhold Urmetzer, „Das Landschaft mit Martyrium der heiligen Katharina“

ISBN 9-783000-362453